Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)
verschwanden.
»Du hast eine eigenartige Vorstellung von Sicherheit«, keuchte er, als er sich nach oben hievte und Halt in dem Astwerk suchte.
Er reichte Milo die Hand, um ihm hinaufzuhelfen. Im selben Moment sprangen zwei Hunde aus der Dunkelheit des Stollens. Die Tiere waren langbeinig und hatten etwas von Wölfen. Ihre Ähnlichkeit wäre nicht zu bestreiten gewesen, wenn sie noch Fell gehabt, ihre Schwänze nicht kupiert gewesen wären und noch ein Funken Leben in ihnen gesteckt hätte. So jedoch waren sie nur missgestaltete Ungetüme, die die Hölle ausgespuckt zu haben schien. Graue Haut spannte sich über ihre Körper. In Teilen hing sie schlaff über die gut sichtbaren Knochen, darunter zeigte sich an anderen Stellen das Spiel von langen sehnigen Muskeln. Die Augen standen vor wie zwei weiße Murmeln, und auf dem Kopf und den Spitzen der Ohren waren kleine Büschel Fell übrig geblieben.
Die Hunde stürmten in die kleine Kammer wie ein Dachs in den Hühnerstall. Sie sprangen umher, warfen den Kopf von einer Seite zur anderen, schnappten nach imaginärer Beute, knurrten und kläfften. Dann hatten sie die beiden Halblinge entdeckt. Milo baumelte noch immer auf halber Höhe. Obwohl Bonne an ihm zerrte wie ein Wahnsinniger, wollte es ihm einfach nicht gelingen, sich mit den Beinen an einen Ast zu klammern.
Die beiden Hundebestien stürmten von unterschiedlichen Seiten heran. Eine hatte es auf Bonne abgesehen, schaffte es mit einem Satz über die Bank und sprang wild schnappend am Stamm der Eiche auf und ab, während sie blutigen Geifer in alle Richtungen verspritzte. Das andere Ungeheuer schien in Milo leichte Beute zu wittern. Mit einem beherzten Sprung gelangte es auf die Bank und schnappte nach dem Bein des Halblings.
Milo zuckte im letzten Moment zurück, und die Fangzähne des Hundes bohrten sich durch den Stoff seiner Hose. Milo strampelte herum, damit das Tier von ihm abließ, und verpasste ihm mit den nackten Füßen einen unangenehmen Tritt auf die lange vernarbte Schnauze. Der Hund jaulte auf und ließ seine Beute nur für einen Herzschlag lang aus den Fängen. Dieser Moment reichte dem Halbling. Er schwang sein Bein in die Höhe und umschlang damit einen der unteren Äste. Die Kiefer schnappten erneut zu, bekamen aber nur den Stoff des Umhangs zu fassen und rissen ein Stück heraus.
Es verging einige Zeit, bevor die Hunde begriffen, dass sie ihre Beute nur mit Beharrlichkeit bekommen würden. Lungernd und knurrend streiften sie um den Stamm der Eiche, den Blick voller Vorfreude nach oben gerichtet.
Milo und Bonne klammerten sich an die einzigen Äste, die der Baum zu bieten hatte. Über ihnen verschwand die Krone in der russ-schwarzen Höhlendecke.
»Sie warten darauf, dass wir wie überreifes Obst herunterfallen«, keuchte Bonne.
»Ich bin untröstlich, sie enttäuschen zu müssen, aber bis zum Herbst werde ich mich hier oben nicht halten können«, antwortete Milo. »Uns sollte lieber schnell etwas einfallen, sonst wird es heute Abend bei Blaubeers wohl Kaninchen mit Stampfkartoffeln, Rübenmus und einer ekligen Mehlpampe geben.«
»Du hast Recht«, fauchte Bonne und ließ sich im Schweinebaumel vom Ast hängen.
Sofort sprang einer der Hunde heran und schnappte nach dem Halbling. Nicht mehr als ein Fuß trennte den geifernden Kiefer von Bonnes Kopf. Die Ungeduld auf eine leckere Mahlzeit ließ den Hund zu wahrer Höchstform auflaufen. Mit jedem Sprung kam er näher an Bonne heran. Noch einmal visierte die Bestie ihre Beute an, lauerte tief geduckt an der Erde und stieß sich mit der ganzen Kraft ihrer Hinterläufe ab. Bonnes Arm zuckte vor, ein Messer umklammernd, und stieß es der Töle direkt ins Auge. Winselnd stürzte der Hund zu Boden, kam jedoch sofort wieder auf die Beine und setzte abermals zum Sprung an. Bonne rettete sich in letzter Sekunde, indem er den Oberkörper aufschwang und erneut in seiner Ausgangslage verharrte.
»Ich hätte dir gleich sagen können, dass dein Plan nicht aufgehen wird«, zischte Milo vor Anstrengung. »Sie sind schon tot. Sie erneut zu töten macht es nicht besser.«
»Tu mir einen Gefallen«, ächzte Bonne, »wenn dich wieder die Allwissenheit küsst, erzähl mir davon, bevor ich mein Leben für dich aufs Spiel setze, ansonsten werde ich nie wieder meinen Nachtisch mit dir teilen.«
Ein Beben erschütterte die Höhle und ließ Ruß und trockene Erde von der Decke rieseln.
Die Hunde waren schlagartig still, kniffen die Schwänze zwischen die
Weitere Kostenlose Bücher