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Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aileen P. Roberts
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war es unvorstellbar, an der Unschuld zweier Kinder zu zweifeln. Eine traurige Geschichte musste getragen werden, und wenn es nicht anders ging, würde sie es auf ihren eigenen verkrüppelten Händen tun. Der eine strotzte nur so vor Leid und Selbstmitleid, und ein anderer verkroch sich und weigerte sich, sein Elend zu teilen. Aber hinter jedem steckte eine Geschichte. »Ihr armen Kinder, wer hat euch so verbittert und mutlos werden lassen? Euer Leben muss eine einzige Tortur gewesen sein. Niemand wird so hart gegen sich selbst, ohne dass jemand anderes ihn gebrochen hat. Ihr müsst euch von euren Selbstzweifeln lösen und euren Kummer und eure Trauer verarbeiten.«
    Ein Halbling wäre kein Halbling, wenn er nicht wenigstens in einem Wortgefecht den letzten Dolchstoß setzen würde. Es gab zwar kaum Helden oder großartige Bösewichter, die das kleine Volk hervorgebracht hatte, doch rankten sich glorreiche Geschichten und finstere Erzählungen selbst um die alltäglichsten Dinge in ihrem Leben.
    »Es fing alles mit dem Erdbeerfest vor zwei Jahren an«, begann Milo seine Erzählung. »Jedes Jahr wird der größte Kürbis gekürt. Die Gewinnerfamilie darf dann am Strunkabend das Erdbeerfeuer entzünden und kann den ganzen Tag umsonst von der Früchtebowle trinken. Die Butterblums hielten den Titel schon seit elf Jahren. Auch in diesem Jahr schienen sie wieder zu gewinnen. Was jedoch keiner wusste, war, dass ich und mein Bruder heimlich in das Komiteezelt geschlichen waren, den Kürbis von Bürgermeister Butterblums ausgehöhlt und mit Schweinemist aufgefüllt hatten. Dann haben wir die Schnittflächen wieder mit Paraffin verschlossen. Butterblums hat zwar trotzdem gewonnen, aber wir hatten einen Heidenspaß, als das Komitee den Kürbis zerteilte, um ihn für die Bowle zu zerkleinern.«
    »Ein ganz normaler Kinderstreich«, erklärte Bocco Talis. »Nichts, wofür man verdient hätte, von einer Meute gelyncht zu werden.«
    »Wenn ich mich richtig an die Worte unseres Vaters erinnere, als wir das Wachs zurückbringen wollten, teilte er diese Meinung nicht. Er verdrosch uns mit seinem Ledergürtel, dass wir drei Tage nicht ohne Schmerzen sitzen konnten. Danach entschlossen wir uns, vorsichtiger zu werden.«
    »Vorsichtiger bei was?«, fragte die Alte verständnislos.
    »Bei den Racheplänen für unsere Feinde«, gab Milo zur Antwort.
    »Rache! Rache!«, krächzte die Krähe und verdrehte den Kopf wie eine Eule.
    Bocco Talis schnaubte verächtlich. Der Schleier wirbelte ein Stück hoch und bot Milo einen kurzen Blick auf das, was dahinterlag. Der Hals der Alten wirkte wie der dünne Ast eines verrottenden Baumes, das Kinn war hart und kantig wie ein Kadaver, der nur noch von der Haut zusammengehalten wurde, die Unterlippe fehlte ganz und gab die Sicht auf eine Reihe lückenhafter verfaulender Zahnstümpfe preis.
    »Rache! Feinde!«, sagte Bocco Talis höhnisch. »Ihr sprecht von euren Kinderstreichen wie ein General vom Krieg.«
    Milo konnte nicht antworten, er hatte alle Hände voll zu tun, die aufsteigende Übelkeit in sich zu unterdrücken.
    »Genau das war es auch«, mischte sich Bonne ein. »Oder zumindest wurde es dazu, als wir den Hühnerstall von der alten Mimi Fuhrtfuß mitsamt der Viecher darin anzündeten.«
    »Was hat das mit dem Bürgermeister oder den Prügeln zu tun, die ihr bezogen habt?«
    Bonne sah verunsichert zu seinem Bruder hinüber.
    »Mimi wohnt gleich nebenan und ist eine gute Freundin des Bürgermeisters«, ergriff Milo das Wort. »Man darf bei der Wahl seiner Feinde nicht wählerisch sein. Auf jeden Fall konnten sie uns nichts nachweisen. Vater entschied aber trotzdem, dass wir beim Wiederaufbau helfen sollten. Das taten wir auch und nutzten die Zeit der Mittagspause, um in den Stall von Bürgermeister Butterblums zu schleichen und sein Lieblingspony abzustechen. Das war gar nicht so einfach. Der alte Klepper geriet in Panik, als er den Stechbeitel sah, und Bonne hatte alle Mühe, das Vieh festzuhalten.«
    »Außerdem wären wir beinahe zu spät zurückgekommen, weil wir über und über mit Blut besudelt waren. Wir mussten im Fluss baden, um wieder einigermaßen auszusehen. Danach haben wir in den klammen Klamotten bis zum Abend geschuftet, aber keiner hat Verdacht geschöpft. Erst am nächsten Tag, als Butterblums das Pony gefunden hat, tuschelten die Leute.«
    »Dann kehrten einige Wochen Ruhe ein, und der Zwist wäre beinahe in Vergessenheit geraten, wenn wir nichts unternommen hätten«, riss

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