Große Kinder
steuern sozusagen als Einzelindividuen, aber fest eingehakt Arm in Arm auf ein gemeinsames Ziel zu, wobei sich jeder am anderen festhält und jeder den anderen mitzieht.
Für die etwa Neun- bis Zwölfjährigen dagegen ist zunächst nur wichtig,
gemeinsam
etwas zu erleben,
zusammen
etwas zu tun. Das allein schon ist ein grandioses Gefühl für die Kinder! Die Bildung von Gruppen, Cliquen, Banden wird folglich ab etwa 9 Jahren zunehmend zum wichtigsten Lebensinhalt der Kinder – oder sollte es zumindest werden können.
Das Wir-Gefühl, dieses einzigartige Erlebnis, Teil einer Gruppe zu sein, die durch das Gemeinschaftsgefühl zusammengeschweißtwird, ist für die soziale und emotionale Entwicklung des Menschen außerordentlich wichtig. Auf die Frage, weshalb die Freundesgruppe so wichtig sei, antwortete in einer neueren Untersuchung ein zehnjähriger österreichischer Junge:
Ja, weil ohne Liebe und Zärtlichkeit kann man ja nicht leben.
... Weil, wie da unsere ... die Frau Religionslehrerin gesagt hat, da waren zehn Kinder und die sind nur gefüttert worden und kein Körperkontakt, nichts, nicht einmal Sehkontakt und und die mehr als die Hälfte sind gestorben und die anderen sind ... nur mit Kraft haben sie halt weiterleben können.
Interviewer:
... Du hast gesagt, ja, mit Liebe und mit Zärtlichkeit ... kriegst das von Deiner Freundesgruppe?
Kind:
Na ja, Liebe nicht so, aber Zärtlichkeit, also sie ... wir gehen schon miteinander zärtlich um. Also, nicht so »He, du, Trottel du!« oder so.
Interviewer:
Ja. Und was ist zärtlich umgehen miteinander?
Kind:
Ja, also, wir reden nett. Und wenn ein Streit ist, dann reden wir friedlich miteinander und nicht so »Ma, du hast mich dazu gebracht. Des bringt ja gar nix. Ergib dich« oder so.
(Wilk/Bacher, S. 322)
Zärtlich und liebevoll in dem Sinne, wie wir Erwachsenen diese Worte verstehen, geht es sicher auch unter Kindern nicht immer zu. Wichtig erscheint mir aber, dass dieser Zehnjährige die existenzielle Bedeutung der Freundesgruppe mit der menschlichen Zuwendung in der frühen Kindheit gleichsetzt. Es geht ihm offenbar um das Geborgenheitsgefühl, das in der Freundesgruppe erlebt wird, eben um dieses wichtige Wir-Gefühl.
Ein Gemeinschaftsgefühl kann wohl nur entstehen, wenn man sich nach außen abgrenzt. Das ist bei Erwachsenen, die sich mit ihrem Betrieb identifizieren, indem sie sich von derKonkurrenz abheben, nicht anders – »Corporate-Identity« ist dafür das moderne Zauberwort.
So sind Erfahrungen des Mit- und Gegeneinander, der Zugehörigkeit und des Ausgeschlossenseins, von Freundschaft und Feindschaft Schlüsselthemen, mit denen sich Kinder dieses Alters fortwährend auseinander setzen. Kinder ab etwa 9 Jahren schaffen sich dieses Wir-Gefühl, indem sie mit großer Phantasie in sich geschlossene, verschworene Gemeinschaften bilden, die sich gegen einen Außen»feind« abgrenzen. Dort wo Kindern noch genügend freie Zeit und freier Raum zur Verfügung stehen, bilden sich auf wundersame Weise garantiert Kindergruppen, die sich zusammenschließen, um gegeneinander anzutreten. Außen»feinde« einer Kindergruppe können dabei auch Erwachsene sein oder Phantasie»feinde«, die im Spiel »bekämpft« werden.
Astrid Lindgren hat das Bedürfnis der Kinder zwischen etwa 8 und 12 Jahren nach Gruppen und Banden, nach Gemeinschaft und Auseinandersetzung in ihren Büchern immer wieder aufgegriffen und spricht damit den Kindern aus der Seele. In
Kalle Blomquist
geht es um den »Rosenkrieg« zweier »verfeindeter« Gruppen, der »Roten« und der »Weißen«:
Und die Weißen marschierten direkt auf die Roten zu.
Nun trafen sie sich. Nach dem Friedensvertrag hätte der Chef der Weißen sich jetzt dreimal vor den Roten verbeugen sollen und sagen: »Ich weiß, daß ich nicht würdig bin, den gleichen Boden zu betreten wie du, o Herr!« Der rote Chef sah den weißen auch besonders herausfordernd an. Da öffnete der weiße Chef seinen Mund, er sprach und sagte »Rotzbengel!«
Der rote Chef sah zufrieden aus. Er ging jedoch entrüstet einen Schritt rückwärts.
»Das bedeutet Kampf!« sagte er.
»Ja«, sagte der weiße Chef und schlug sich dramatisch an die Brust. »Jetzt herrscht Kampf zwischen der Weißen und der Roten Rose!« ...
Der Krieg der Rosen, der mit kurzen Unterbrechungen nun schon seit Jahren tobte, war nicht etwas, wovon man sich freiwillig ausschloß. Das gab Spannung und Inhalt für die
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