Große Kinder
Es genügt vorläufig, wenn sie nur ganz vorübergehend zusammenkommt, zum Beispiel, um zu tauschen und sich über die Sammelobjekte auszutauschen, und dann wieder auseinander geht. Das ist in diesem Alter wichtig, denn auch Gruppengemeinschaft will gelerntsein, und das geht nicht von einem Tag zum anderen. Da braucht man erste unverbindliche und unterschiedliche Übungsfelder.
Wie sehr Acht-, Neunjährige versuchen, in ihre gemeinsame Welt Ordnung zu bringen, wie sehr es im Kern aber auch darum geht, sich selbst einzuordnen in die Welt und in die Gruppe der Gleichaltrigen, wird in vielen ihrer Spiele deutlich: Die Kinder geben sich gegenseitig Noten, stellen Rangordnungen auf, verteilen Medaillen, zählen Treffer und Punkte. Dabei lehnen sie eine Beurteilung ab, die den individuellen Fähigkeiten des Einzelnen gerecht wird, denn so weit können sie noch nicht differenzieren: So ist zum Beispiel »Verkleiden« zumindest für die Mädchen zwar noch immer derselbe Spaß wie früher, aber am Ende muss entschieden werden, welches Kostüm das beste oder schönste ist, welches das zweitbeste, welches das drittbeste. Beim Wettlauf geht es um »Gold«, »Silber« und »Bronze«, beim Fußballspielen darum, wer Torschützenkönig wird, und fertig gebackene und dekorierte Kekse bekommen Noten und werden damit verschiedenen Kategorien zugeordnet.
Bei der Entscheidung, ob ein Keks noch eine Drei bekommen kann oder doch eher eine Vier, spielt das Kind nicht nur die Notengebung der Lehrer nach, es »spielt« vor allem mit den Gefühlen, die eine Bewertung auslösen. Es tastet sich an Mitleid und Härte, an Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, an Stolz und Enttäuschung, an Ärger und Zufriedenheit, an Demütigung und Ermunterung heran. Auch Kinder, die in der Schule keine Noten erhalten, schaffen sich in ihren Spielen Benotungen und Bewertungen. Über die Sportplatzierungen und Schulnoten hinaus gibt es noch eine große Bandbreite von anderen Messlatten, die alle Kinder kennen und anwenden. Sie erfinden diese teilweise selbst, teilweise werden sie von Generation zuGeneration weitergegeben. Dazu gehören das gegenseitige Auftrumpfen: »Mein Bild kostet eine Million« – »meins 100 Millionen« – »meins 1000 Millionen«, die altbekannten Abstufungen: Kaiser – König – Edelmann – Bürger – Bauer – Bettelmann, die Steigerungen der Märchen: Silber – Gold – Edelsteine, die »Punktzahl« im Ballspiel: lebendig – krank – scheintot – tot – mausetot usw.
Überheblichkeit, Angeberei, Verächtlichkeit gegenüber Schwächeren: Oft empören sich Erwachsene über solche »Charakterstörungen« bei acht-, neunjährigen Kindern; denn für die weniger »guten« und »erfolgreichen« Kinder ist es natürlich außerordentlich schmerzhaft, zu den »Abgeschlagenen« zu gehören. Erwachsene, denen bewusst ist, dass Acht-, Neunjährige ihre »Rangordnungen« aufstellen, weil sie sich innerhalb ihrer Generation einordnen müssen, werden den »schwächeren« Kindern dabei helfen, ihre schwachen Seiten anzunehmen und sich ihrer starken Seiten bewusst zu werden. Wenn Erwachsene wissen, dass acht-, neunjährige Angeber nur sich selbst feiern und überhaupt nicht merken, dass sie damit anderen wehtun, werden diese Kinder entweder behutsam darauf hinweisen, wie sehr Angeberei verletzen kann, oder geduldig abwarten, bis die Altersgenossen selbst den Überheblichen den Kopf zurechtrücken. Kinder regulieren sich selbst. Wenn sie etwa in der 7. Klasse, also 12, 13 Jahre alt sind, wird das Pendel in die andere Richtung umschlagen, dann werden die »Streber« gebrandmarkt und lernen müssen, sich
trotz
ihrer guten Leistungen auf die gemeinsame Ebene der Altersgenossen zu begeben.
Zunächst gilt für die Kinder mit 8, 9 Jahren, dass sie getrost ihre eigenen Wertsysteme aufbauen sollten, an denen sie sich orientieren können, ohne dass sich Erwachsene allzu sehr einmischen. Wenn Kinder unter sich bleiben, kommen sie mit denBewertungen viel besser zurecht. Am schwersten zu verkraften sind ohnehin die Bewertungen und Beurteilungen aus der Erwachsenenwelt: Die schlechte Note, die ein Lehrer erteilt, ist mit Sicherheit viel vernichtender als die schlechte Platzierung in einem Spiel unter Kindern.
Angst
In ihrer Orientierungslosigkeit, ihrem Grenzensuchen und ihrer Opposition zu Erwachsenen ähneln Acht-, Neunjährige sowohl den zweieinhalbjährigen Kindern der Trotzphase als auch etwa
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