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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oggi Enderlein
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Kindern auch in diesem Bereich den nötigen (erwachsenen-)freien Lebens- und Erfahrungsraum zuzugestehen. Erwachsene können trotzdemhilfreich sein, wenn sie bei Bedarf beratend, aus taktvoller Distanz heraus und mit Verständnis für die Gefühle der Kinder den Weg aus verhärteten Fronten zeigen. Gelegentlich sind sie geradezu notwendige »Grenzbojen«, deren Aufgabe es ist, die Kinder darauf hinzuweisen, wenn eine   – auch seelische   – Verletzung zu weit ging.
    Die Bildung von Truppen oder Trupps, Corps, Kompanien, Kränzchen, Kreisen, Ringen, Zirkeln, Gilden, Scharen, Sippen, Stämmen, Logen, Bruderschaften (»...   brothers« oder »...   sisters«), Mafias, Vereinen, Clubs, Cliquen, Banden, Gangs, Mannschaften, Crews, Teams usw. muss etwas sehr Wichtiges für das Werden und Wachsen in diesem Alter sein, denn zu allen Zeiten und auf der ganzen Welt suchten und suchen Kinder nach Wegen, um sich ihre Verschworenengemeinschaften zu schaffen. Die zugrunde liegenden Phantasien, die gruppenbildenden Ziele, die Wahl der Namen und auch die Zusammensetzung der Gruppenmitglieder aber scheint ein Spiegelbild der Zeit und der Kultur zu sein, in der die Kinder aufwachsen.
    Gegnerische Gruppen
    Im
Krieg der Knöpfe
scharen sich die Jungen der beiden französischen Nachbardörfer zu zwei Armeen zusammen, um gegeneinander in den »Krieg« zu ziehen, sich gegenseitig zu übertrumpfen und auszustechen. Bei Erich Kästner sind es im
Fliegenden Klassenzimmer
die Jungen zweier Schulen, die gegeneinander antreten, in der Generation meiner Eltern und auch in unserer Kindheit noch waren es die Karl-May-Geschichten, welche Kinder in Bleichgesichter, Comanchen, Sioux und Apachen aufteilten. Dabei waren in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg die Krieger offenbar noch ausschließlich männlichen Geschlechts, nur für die Rolle der Squaw, dieden Wigwam zu bewachen hatte, wurden auch damals schon gnädigerweise Mädchen als Mitspieler in die Indianerstämme aufgenommen. In meiner Generation dagegen kämpften Jungen wie Mädchen, teilweise vereint, häufiger getrennt, heldenhaft und selbstbewusst gegen die niederträchtigen Bösen im Wilden Westen. Mit Erich Kästners
Emil und die Detektive
, vor allem aber mit den Büchern von Enid Blyton und Astrid Lindgren fanden die Mädchen endgültig literarisch Einzug in die Krieger- und Abenteuerbanden. Gewiss bezogen sich die Schriftstellerinnen damit auf die veränderten Wirklichkeiten. Daneben spornten sie aber mit ihren Büchern die Kinder auch zu gemeinsamen Abenteuern von Jungen
und
Mädchen an.
    Es gab aber auch immer schon reine Mädchencliquen, die sich rivalisierend gegenüberstanden. Im Unterschied zu den Jungenbanden ging und geht es unter Mädchen dabei meistens nicht darum, sich körperlich aneinander zu messen und miteinander zu kämpfen, sondern um hinterhältige Intrigen.   – Unter den etwa zehnjährigen Mädchen finden sich die intrigantesten Frauenzimmer der Welt!
    Wie sich die Vereinigungen von Kindern ihrer Zeit anpassen, mögen die folgenden beiden neueren Beispiele zeigen:
    1982 entstanden in einer 4.   Klasse in Süddeutschland aus Jungen und Mädchen gemischt zwei »Ferienhotel-Imperien«, die versuchten, sich gegenseitig mit ihren »Ferienattraktionen« den Rang abzulaufen. Die Kinder verfassten »Werbebroschüren« mit den verlockendsten Angeboten und setzten alles daran, die »Konkurrenz« zu übertrumpfen. Und um 1992 gründeten in Berlin ebenfalls Jungen und Mädchen einer 4.   Klasse die »Vereine« »Edeka« und »Bauhaus«, die zwar absolut nichts mit Handel und noch weniger mit Heimwerkerei im Sinn hatten, aber dennoch heftig miteinander konkurrierten, sich in Hochstapeleien überboten und mit ihren Vereinstreffenund Freizeitaktivitäten versuchten, den Neid der Nichtmitglieder ins Unerträgliche zu steigern.
    An einer anderen neuen, ziemlich verbreiteten Form von kindlichen Auseinandersetzungen nehmen wir alle, meistens ahnungslos, teil: am »Kampf« der Sprayer.
    Wir alle kennen die kleinen, wie Unterschriften-Kürzel aussehenden »Wandschmierereien« und Kratzer, die auf öffentlichen Gebäuden, nackten Wänden, S-Bahnzügen und Fenstern auftauchen. Das sind die »tags« (englisch: etikettieren, zeichnen) genannten Zeichen, knappe, kunstvolle Schriftzüge, die perfekt beherrscht werden müssen. Manche, meistens die jüngeren Kinder, »tagen« zunächst allein: Sie sprayen oder malen mit dicken Filzstiften zum Spaß ihr Zeichen an beliebige

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