Große Kinder
zum Beispiel, wenn die Schulen es zu ihrer Aufgabe machten, Kindern
Freiräume
zu verschaffen? Wie wäre es, wenn jede Klasse in den ersten vier Schuljahren einen Vor- oder Nachmittag oder einen ganzen Tag pro Woche (jawohl, pro Woche, nicht pro Jahr!) ohne vorgegebenes Lehr- und Wanderprogramm bei freiem Spiel und Spaß an einem bestimmten Platz in Feld, Wald und Wiesen verbringen würde? Oder bei schlechtem Wetter in Räumen, die groß genug sind, um frei erfundenes Theater, Bewegungs-, Geschicklichkeits- oder sonstige Spiele zu spielen und die Requisiten selbst herzustellen, die für die Spiele gebraucht werden – so wie es Kinder heute noch in natürlicheren Lebenswelten außerhalb der Schulzeit tun? Wie wäre es, wenn die Pädagogen an diesem halben Tag nur bei Bedarf Anregungen zu Spielen und Beschäftigungen geben würden? Wenn sie ihre Aufgabe darin sehen könnten, den Kindern mit Material, Tipps und Regelvorschlägen weiterzuhelfen, wenn
die Kinder
es brauchen,und im Wesentlichen nur als »Grenzwächter« in der Nähe zu sein?
Das geht nicht, weil das Risiko, dass den Kindern etwas zustoßen könnte, zu groß ist? Doch, es geht: Normalerweise ziehen sich Kinder mit 8, 9 Jahren aus dem Bannkreis der Erwachsenen zurück und übernehmen selbst die Verantwortung für ihr Handeln. Wenn mehrere Kinder zusammen sind – und sich nicht unter der Aufsicht von Erwachsenen fühlen –, passen sie im Allgemeinen ganz gut aufeinander auf.
Gewiss, Freiheit muss man lernen und anfangs mag die Unsicherheit und Übertreibung von ungeübten Kindern zu scheinbar unüberbrückbarem »Chaos« führen. Es stimmt auch, dass beim Lernen von eigenverantwortlichem »Freisein« gelegentlich etwas schief gehen kann. Aber selbst ein gebrochenes Bein ist allemal schneller und einfacher zu heilen als eine verstümmelte Seele. Schlimmeres passiert trotz aller Unkenrufe außerordentlich selten. (Die Gefahren, denen Kinder ständig im Straßenverkehr ausgesetzt sind, sind ungleich größer!) Auch die gegenseitigen Verletzungen halten sich bei Kindern unter 12 Jahren normalerweise in Grenzen. Zwar liefern die Medien heutzutage verheerende Spielvorlagen, aber Kinder, die geübt sind, miteinander zu spielen, wissen sehr genau, wie weit sie gehen können, ohne den anderen ernsthaft zu verletzen. Darum ist ja das Üben von freiem Spiel und Kräftemessen in diesem Alter so wichtig. Die Fähigkeit, als Unerfahrener die Grenzen richtig zu spüren, verliert sich nämlich mit zunehmendem Alter. Und dann kann es wirklich gefährlich werden!
Sie finden, es ist völlig unmöglich, an einem Tag in der Woche auf den regulären Unterricht zu verzichten, weil man dann mit dem Lernstoff nicht durchkäme? Ich bin mir sicher, dass Kinder, die sich daran gewöhnt haben, im Rahmen des Schullebens feste, aber ausreichende freie Spielräume zu haben,in denen sie sich in jeder Hinsicht frei bewegen, entfalten und erproben können, sich in den übrigen Zeiten besser konzentrieren werden und dass die Unterrichtsstörungen durch die motorisch unruhigen Kinder erheblich nachlassen.
Eine deutliche Unterscheidung von großzügigem Freisein und konzentriertem Lernen hat auch etwas mit verlässlicher Grenzziehung zu tun, die für Acht-, Neunjährige so wichtig und beruhigend ist und die vielleicht in unseren Grundschulen gelegentlich unterschätzt wird.
Darüber hinaus ist der Umgang mit Freizeit, die Fähigkeit, sich sinnvoll mit sich selbst zu beschäftigen, wenn sonst niemand für Unterhaltung sorgt, eine in Zukunft immer wichtiger werdende Aufgabe. Ich halte es – über die vorbeugende Wirkung hinaus – für einen wichtigen pädagogischen Auftrag, Kindern wieder den selbstsicheren, autarken Umgang mit freier Zeit nahe zu bringen. Frei sein, sich für sich selbst verantwortlich und zuständig zu fühlen, ist mehr denn je eine Lernaufgabe, die meiner Meinung nach in unserer Zeit nur von Schulen übernommen werden kann – von wem auch sonst?
Auch hier gilt: Wir sind zuerst für die seelische Gesundheit und die natürliche Entwicklung der Kinder zu freien, eigenverantwortlichen, ihrer Grenzen bewussten, die Grenzen des anderen respektierenden Menschen verantwortlich. Da diese natürliche, gesunde Entwicklung in unserer Gesellschaft nicht mehr gewährleistet ist, muss die Gesellschaft, und das sind nun mal vor allem die Erwachsenen, handeln. Am ehesten dazu in der Lage sind natürlicherweise die Erwachsenen, die am engsten mit Kindern
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