Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte
Schiffen noch eine andere neue Waffe eingesetzt hätten. Dieser sogenannte «Rabe» soll aus einem Haltebalken auf dem Vorschiff und einer fast elf Meter langen Enterbrücke, die man herunterlassen konnte, bestanden haben. Doch die angeblich so effektive Waffe taucht nur in den Erzählungen über die Seeschlachten bei Mylae (260 v. Chr.) und am Kap Ecnomus (256 v. Chr.) auf.
Sehen wir uns die einzige Quelle dazu, den Bericht des Polybios, genauer an! Der aus Megalopolis in Arkadien stammende griechische Geschichtsschreiber war zunächst Militär und kam 168 v. Chr. als einer jener eintausend Angehörigen der Oberschicht des Achaiischen Bundes, die man Rom als Geiseln stellen musste, in die Metropole am Tiber. Er begleitete dann Scipio Aemilianus Africanus minor Numantinus (185–129 v. Chr.), meist «der jüngere Scipio» genannt, auf seinem Feldzug gegenKarthago im Dritten Punischen Krieg der Jahre 149 bis 146 v. Chr., der mit der völligen Vernichtung der Stadt endete. In diesen Jahren wurde er grundlegend «römisch sozialisiert», und Polybios begann die Macht des Römischen Reiches zu bewundern. Er wurde schon in der Antike durch sein in Griechisch verfasstes Hauptwerk, die
Historien
, berühmt, in dem er in vierzig Büchern die Universalgeschichte Roms vom Beginn des Ersten Punischen Krieges bis zur Zerstörung Karthagos und Korinths, also von 264 bis 146 v. Chr., beschreibt.
Obwohl das monumentale Geschichtswerk des Polybios nur zu etwa einem Drittel erhalten ist, stellt es die mit Abstand wichtigste literarische Quelle für die mediterrane Geschichte des 3. und 2. vorchristlichen Jahrhunderts dar. Polybios hat die Quellen, aus denen er sein Wissen bezog, von weit hergeholt. Eine Reihe seiner Gewährsmänner nennt er sogar selbst. Scharf kritisiert er die pro-karthagischen Geschichtsschreiber Chaireas, Sosylos oder Philinos von Akragas, dessen Überlieferung für die Geschichte von den «Raben» nicht unwichtig war. Polybios will seinen Lesern den zielgerichteten Aufstieg Roms zur größten Macht der Welt erklären. Dieser hängt für ihn von den moralischen Qualitäten der Römer ab, die mit ihrer Kühnheit, Hartnäckigkeit und Seelengröße allen anderen Völkern überlegen waren. Er zeigt, wie die Tiberkommune mit dem Bau großer Flotten zu einer Seemacht aufstieg und den Vergleich mit den bislang bekannten Thalassokratien der hellenistischen Welt nicht scheuen musste. Wirkliche Macht ist somit bei Polybios – schon lange vor Mahan – unauflöslich an Seemacht gebunden.[ 13 ]
Bei einer weiteren, überaus wichtigen Quelle über die Zeit des Ersten Punischen Krieges liegen die Dinge noch komplizierter. Von Cassius Dio (um 163–nach 229) haben wir zwar seine in griechischer Sprache verfasste
Römische Geschichte
in achtzig Büchern. Doch ausgerechnet jene Partien, die vom Ersten Punischen Krieg handeln, sind nur in Bruchstücken erhalten. Dios Werk ist aber von Johannes Zonaras, einem Geschichtsschreiber, der unter dem byzantinischen Kaiser Alexios I. (1081–1118) Kommandant der Leibgarde sowie Vorsteher der kaiserlichen Kanzlei gewesen war und dann politisch kaltgestellt in einem Kloster lebte, in weiten Teilen exzerpiert und wohl auch kopiert worden. So hat also eine Weltgeschichte des 12. Jahrhunderts, die einen Autor des 3. Jahrhunderts verarbeitet, für die Geschichte des 3. vorchristlichen Jahrhundertsenorme Bedeutung bekommen. Hören wir, was bei Johannes Zonaras über die Beschaffenheit der römischen Schiffe in der Schlacht von Mylae steht: «Duilius […] stellte bei seiner Ankunft in Sizilien fest, dass die karthagischen Schiffe seinen eigenen an Festigkeit und Größe unterlegen seien, sie aber in der Schnelligkeit des Ruderns sowie der Vielfalt des Manövrierens überträfen. Aus diesem Grund versah er seine Trieren mit technischen Einrichtungen, Ankern, an langen Stangen befestigten Enterhaken und anderen derartigen Hilfsmitteln; sie sollten auf die feindlichen Fahrzeuge geworfen und diese so an die eigenen Schiffe festgekettet werden, damit man hinübersteigen, den Karthagern unmittelbar auf den Leib rücken und sie wie in ein Landgefecht verwickeln könne.»[ 14 ]
Mit Zonaras im Ohr zurück zu Polybios: Er greift für sein Ziel, die Größe Roms zu begründen, zu einem Trick, der zum Handwerkszeug jedes Schriftstellers gehört: das Arbeiten mit dem Unerwarteten. Natürlich tritt die Unschuld der Römer in dem Kampf um Sizilien noch klarer hervor und wirkt unwiderlegbar,
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