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Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte

Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte

Titel: Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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wenn man den Eindruck vermittelt, sie seien völlig unvorbereitet in den Konflikt hineingezogen worden und könnten schon deshalb gar nicht die treibende Macht beim Ausbruch des Krieges gewesen sein. Dabei waren gerade sie es, die mit dem Eingreifen in Messana den Krieg provoziert hatten. Und als man sich endlich im Krieg befand, wurden die Erfolge der Römer natürlich als noch spektakulärer empfunden, wenn sie auf einem angeblich fremden und noch nie betretenen Feld, nämlich dem Meer, siegreich erstritten wurden.
Enterhaken und «eiserne Hände»
    Viele Details, die Polybios über die Kämpfe beschreibt, erscheinen jedoch voller Ungereimtheiten, und man darf annehmen, dass der wahrscheinlichere Hergang der Dinge viel nüchterner gewesen ist. Dass man zum Beispiel ein gestrandetes gegnerisches Wrack brauchte, um überhaupt moderne Kriegsschiffe bauen zu können, ist angesichts der engen Kontakte der Römer zu erfahrenen Seestädten absurd und erstaunt nur in dem Punkt, dass Polybios diese naive Geschichte selbst geglaubt haben soll. Möglicherweise hat man gegnerische Schiffe, die in die eigenenHände gelangt sind, tatsächlich genau inspiziert. Doch aktuelles Know-how des Schiffsbaus musste man nicht von solchen Funden abpausen, sondern es gab jenes Wissen reichlich in den griechischen Küstenstädten in Süditalien, besonders in Syrakus, das man sich kurz zuvor botmäßig gemacht hatte. Ja, den Römern dürften seit den zwischen 280 und 275 v. Chr. geschlagenen Schlachten gegen Pyrrhos (um 319 v. Chr. – 272 v. Chr.), den Alexandernachfolger, Condottiere und legendären Gegner Roms, und nach der Eingliederung der süditalienischen Griechenstädte zahlreiche erfahrene Schiffsbaumeister und genügend Flottenpersonal zur Verfügung gestanden haben. Auch an Schiffsbauholz mangelte es nun nicht mehr. Heutigen Besuchern Süditaliens fällt die enorm verkarstete Landschaft auf. Doch waren in der Zeit, als Rom auf die Regionen in Süditalien ausgriff, noch weite Landstriche mit Wald bedeckt. Berühmt war der große Sila-Wald in Kalabrien, dessen Nadelholz hervorragendes Schiffsbaumaterial abgab.
    Auch die von den Chronisten beschriebenen Seemanöver geben zu denken. Die Karthager scheinen bei Mylae wohl zuerst eine
diékplous-
Attacke, also die «Durchfahrt», vollzogen zu haben. Beim zweiten Angriff haben sie den
periplous
, die «Umfahrung», anzuwenden versucht. Doch beides scheiterte an der römischen Kampftaktik, und es spricht viel dafür, dass die Römer schon zu diesem Zeitpunkt nicht so unerfahren gewesen sein können, wie es uns Polybios glauben machen will. Und wie verhält es sich nun mit den Enterbrücken? Die angeblich so wirkungsvolle Geheimwaffe kommt leider nur bei Polybios vor und wird bei anderen Autoren nie erwähnt. Im Zusammenhang mit den Seekämpfen nennen sie nur die Enterhaken, die man mit Seilwinden kombinierte, um die gegnerischen Schiffe zum Enterkampf heranzuziehen und Rammversuche auszuschließen, doch keine «Raben». Polybios selbst erwähnt die Enterbrücke nur noch einmal, nämlich in der Schlacht am Kap Ecnomus 256 v. Chr., dann verschwindet der «Rabe» auch aus seiner Darstellung, und zwar für immer. Warum sollte eine so effektive Waffe nicht mehr verwendet worden sein, weder bei den Römern noch bei anderen Flotten? Drei Antworten sind möglich:
    Erstens könnte mit dem
corvus
einfach ein Enterhaken gemeint sein, wie er von vielen anderen Autoren genannt wird. Dagegen spricht allerdings, dass für die Enterhaken an Stangen eher die Bezeichnung
harpago
und für jene, die unmittelbar an Ketten hängen,
manus ferrea
, also die «eiserne Hand», verwendet worden ist. Der römische Autor Florus, der in der Zeit der Kaiser Trajan (98–117) und Hadrian (117–138) schrieb, benutzte genau jene Bezeichnung einer
manus ferrea
, als er auf die Entervorrichtungen der Römer in der Schlacht von Mylae zu sprechen kam. Und auch Zonaras hatte bei Cassius Dio, wie wir schon hörten, wohl nur von Enterhaken gelesen.[ 15 ]
    Zweitens wäre es möglich, dass der «Rabe» eine Erfindung karthagischer Chronisten ist, die sich für ihr eigenes Selbstverständnis irgendeinen Reim auf den Erfolg der Römer auf See machen mussten. Für solche Fälle sind Geheim- oder Superwaffen zu allen Zeiten beliebt gewesen. Doch wie soll eine karthagische Fiktion in das Werk des Polybios gekommen sein? Auch dafür gäbe es eine Erklärung: In der zweiten Hälfte des 3. vorchristlichen Jahrhunderts lebte auf

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