Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte
Beschädigungen aus der Linie ausscherten oder wenn der Hauptteil der gegnerischen Schiffe erobert oder versenkt war.
Das grundsätzliche Problem war allerdings: Eine Linienschlacht konnte es nur geben, wenn beide Gegner sich entsprechend aufstellten. Schon vor Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Lineartaktik deshalb mehrfach als unzeitgemäße Schlachtordnung kritisiert. Einige Gefechte Nelsons, aber auch seiner Admiralskollegen zeigten, dass die Kritik berechtigt war. Als Nelson bei der Schlacht von St. Vincent 1797 entgegen den Befehlen seines Admirals John Jervis frontal in einen zahlenmäßig überlegenenGegner hineinsegelte und die ihm folgenden Schiffe, darunter den damaligen Kommodore Cuthbert Collingwood, mitzog, erwies sich das für den Gegner als verheerend. Auch wenn die frontal zu der Linie angreifenden Schiffe der Briten annähernd zu Wracks geschossen wurden, zersprengten sie doch als Keile die feindliche Schlachtlinie zu kleinen, leichter zu attackierenden Schiffsgruppen.
Auf diesen Erfahrungen basierte der Plan Nelsons, der vorsah, die Flotte in zwei ungefähr gleich starke Angriffskeile zu teilen, die in die lange Schlachtlinie, an der die Franzosen ja mit Sicherheit noch festhalten würden, hineinstoßen sollten. Die Schiffe der Luvseite, die
weather column
, wollte Nelson selbst auf der
HMS Victory
führen. Sie sollten knapp über dem Zentrum der feindlichen Linie in den Gegner hineinfahren. Wenn möglich, wollte er gleich das feindliche Flaggschiff angreifen. Der nun als Vizeadmiral amtierende Collingwood sollte auf
HMS Royal Sovereign
mit den Schiffen der Leeseite, der etwa eine Seemeile entfernt fahrenden
lee column
, die feindliche Linie knapp vor der Nachhut des Gegners durchstoßen.
Der Sinn des Manövers, das als «The Nelson Touch» in die Geschichte einging, lag auf der Hand: Zunächst konnte die Vorhut des Gegners für einen längeren Zeitraum vom Kampf ausgeschlossen werden, denn ohne Kursänderung würde sie sich immer weiter vom eigentlichen Schlachtfeld entfernen. Der sich nähernden Nachhut dagegen würden sich die Steuerbord-Breitseiten der
lee column
entgegenstellen und gleichzeitig mit der Backbordseite den Rücken des Zentrums bedrohen. Ziel der Aktion war es, den Gegner durch numerische Überlegenheit an einem Punkt zu vernichten, und nicht das Ausscheren von Schiffen aus der Linie zu erzwingen. Zentraler Bestandteil des «Nelson Touch» war zudem, dass der Admiral den einzelnen Schiffskommandanten einen großen Entscheidungsspielraum zugestand, was eine rasche Reaktion auf unvorhergesehene Situationen ermöglichte.
So elegant oder vielleicht auch genial das alles klingen mag, es war ein unfassbar riskantes Manöver. Nelson musste nämlich in Kauf nehmen, dass die beiden Führungsschiffe zunächst für die lange Zeit der Annäherung dem konzentrierten Feuer des Gegners von mehreren Schiffen ausgesetzt wurden. Schlimmer noch: Im Grunde begaben sich Nelsons Schiffe von selbst in eine Position, die man einhundert Jahre später mehrals alles andere im Seekrieg fürchtete: das sogenannte
crossing the T.
Bei diesem Manöver, das einem großen T ähnelt, gelang es einer gut trainierten Artillerie, die geballte Feuerkraft mehrerer in Linie fahrender Schiffe auf ein gegnerisches Schiff, das sich im Winkel von 90° annäherte, zu konzentrieren; mit verheerender Wirkung, wie sich denken lässt. Und genau das war das geplante Schicksal der Führungsschiffe der beiden Angriffskeile. Die beiden Angriffslinien sollten außerdem ohne jeglichen Flankenschutz fahren. Wenn man bedenkt, dass für die Besatzung der
Victory
, des Führungsschiffs der
weather column
, und damit für Nelson selbst die Überlebenschancen im zu erwartenden Kugelhagel am geringsten waren, darf man sich fragen: Hatte Nelson denn überhaupt keine Angst vor dem Tod? Wollte er vielleicht sogar sterben?
Am 20. Oktober steuerte die aus Cadiz ausgelaufene alliierte Flotte weiter Südkurs und versuchte, zur Meerenge von Gibraltar zu gelangen. Daraufhin gab Nelson, informiert über die Bewegungen des Gegners, der britischen Flotte das Signal «Allgemeine Verfolgung nach Südosten». Der Tag neigte sich ohne Kampf, kurz vor Sonnenuntergang ermöglichte ein sich drehender Wind Villeneuve einen direkten Weg nach Gibraltar.
Die große Schlacht
Der schicksalhafte 21. Oktober 1805 dämmerte herauf. Eine schwache Brise wehte aus Westnordwest. Eine hohe Dünung ließ jedoch vermuten, dass auf dem Atlantik ein Sturm tobte, der
Weitere Kostenlose Bücher