Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte
«Bügeleisen», «Blechtöpfe» oder «Galoschen» nannten die eigenen Mannschaften diese Ansammlung von Schiffen, die im Hinblick auf Bewaffnung und Reichweite, Panzerschutz und Geschwindigkeit, Kalibergrößen und Munitionsausstattung nicht den Hauch einer Chance gegen die hochmodernen japanischen Kampfschiffe haben würde. Die Schreibtischstrategen in St. Petersburg, in Panik geratene Politiker und ihre journalistischen Handlanger zählten einfach Bruttoregistertonnen und Geschützzahlen zusammen und behaupteten kurzerhand, es komme nicht auf technische Perfektion und moderne Ausrüstung an, die schiere Zahl der Schiffe und Geschütze werde die Entscheidung bringen. In einem Zeitungsartikel hieß es: «Laßt sie mit solchen Mängeln nur ziehen, wenn sie nur die Möglichkeit haben zu fahren und mit Nutzen zu fechten! Schickt sofort ab, was nur möglich ist, verliert keine Minute!»[ 26 ]
Selten haben Wunsch und Realität weiter auseinandergeklafft als bei diesem Versuch, dem bereits verlorenen Krieg gegen Japan doch noch eine Wendung zu geben. Denn in Wahrheit stellten Nebogatows «Selbstversenker» nicht etwa eine Verstärkung dar, sondern im Gegenteil ein Handicap, einen Klotz am Bein, der die ohnehin schon geringen Hoffnungen Rojestwenskis, mit seinem Geschwader einem Debakel zu entgehen, endgültig zerstörte. Nach dem Fall Port Arthurs wäre Umkehren das einzig Vernünftige gewesen. Das aber durfte der Admiral nicht, stattdessen musste er vor der Küste Madagaskars unter ungünstigsten klimatischen Bedingungen und bei katastrophaler Versorgungslage auf die «Selbstersäufer» warten – die Krönung des Unsinns. Rojestwenski, der bisher mit eiserner Entschlossenheit und unerbittlicher Strenge nicht nur die Disziplin seiner Mannschaften und Offiziere, sondern vor allem auch sich selbst aufrechterhalten hatte, erkrankte. Er telegraphierte an den Zaren und bat um seine Enthebung vom Posten des Geschwaderchefs. Die Antwort war abschlägig.
Der Admiral gehorchte, und damit begann der letzte Teil der Tragödie. Die langen Wochen des Wartens auf die «Bügeleisen» konnten nicht einmal konsequent für die Ausbildung des Geschwaders genutzt werden, denn es mangelte an allem: an Kohlen, um das Manövrieren im Verband zu üben, an Ersatzteilen für die reparaturanfälligen Maschinen, an Munition. Auf die Frage, warum der Admiral so selten Schießübungen durchführenlasse, antwortete Rojestwenski lakonisch: «Warum werden keine Schießübungen abgehalten? Dafür habe ich 18 Gründe. Der erste ist, dass wir kein Pulver haben…»[ 27 ] – ein Hinweis, der es erübrigen mag, an dieser Stelle die anderen 17 Gründe im Einzelnen anzuführen.
Wo der Geschützeinsatz einmal nicht nur simuliert, sondern mit scharfer Munition geübt wurde, war das Ergebnis entsprechend. So hieß es in einer der Manöverkritiken während der langen Liegezeit vor Madagaskar: «Vom Schießen der 47-mm-Geschütze, die für die Torpedoabwehr bestimmt sind, muß man sich schämen zu reden […], bei Tage erzielte das ganze Geschwader nicht
einen
Treffer in die Scheiben, welche die Torpedoboote darstellen, obgleich sich diese Scheiben von den japanischen Torpedobooten zu unserem Vorteil dadurch unterscheiden, daß sie unbeweglich waren.»[ 28 ]
Kennzeichnend für das vollkommene Versagen des Petersburger Marine-Amtes bei der Ausstattung der Flotte ist der Verlauf einer Übung der Torpedoboote, die Kapitän Semjonow in diesen Tagen veranstaltete. Dabei stellte sich, immerhin noch vor dem Zusammentreffen mit dem Feind, heraus, dass unterschiedliche Signal-Handbücher ausgegeben worden waren. Semjonow ließ zu Beginn des Manövers den Befehl «Kiellinie bilden» hissen und staunte nicht wenig, als daraufhin die Torpedo-Boote in alle Richtungen ausschwärmten. Die Kommandanten hatten gemäß den Angaben in ihren alten Handbüchern das Signal als «Küste absuchen» dechiffriert. «Eine Kleinigkeit?», kommentierte Semjonow nachdenklich. «Vielleicht – aber eine charakteristische.»[ 29 ]
Während Rojestwenskis Geschwader immer noch vor Madagaskar wartete, traf am 12. März 1905 die nächste Katastrophennachricht ein: Die russische Korea-Armee unter General Kuropatkin war in der fünftägigen, überaus blutigen Schlacht bei Mukden von den Japanern geschlagen worden; und die Berichte über den Ausgang der Schlacht übersteigerten noch die an sich schon deprimierenden Tatsachen. Von der vollständigen Vernichtung der russischen Armee war die Rede
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