Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte
katastrophale Niederlage im Krieg erlitten. In England betrachtete man nunmehr mit Sorge die nur allzu gelehrigen japanischen Schüler, die ihr seemännisches Können auf britischen Marineschulen erworben und die Russen mit Schiffen besiegt hatten, die auf britischen Werften gebaut worden waren. Wenngleich man in London den Dämpfer russischer Expansionsbestrebungen mit Genugtuung zur Kenntnis nahm, erschien doch die Aussicht auf eine japanische Hegemonie im Fernen Osten als eine neue Bedrohung der englischen Handelsinteressen. Einstweilen ließ sich dieser Gefahr dadurch begegnen, dass man den japanischen Siegern androhte, keine weiteren Kredite zu gewähren und das durch die Kriegskosten finanziell völlig erschöpfte Land auf diese Weise zu einem zurückhaltenden Frieden mit Russland zu zwingen. Die Bestimmungen des Vertrags von Portsmouth, der am 5. September 1905 den Russisch-Japanischen Krieg beendete, spiegelten keineswegs die spektakulären militärischen Triumphe der japanischen Truppen wider. Langfristig jedoch verstärkte die britische Politik dadurch nur die Entschlossenheit Japans,seine Machtstellung gegen die europäischen Kolonialmächte auszubauen. Und so führt ein Weg von Tsushima nicht nur zur Oktoberrevolution 1917, sondern auch zum Angriff auf Pearl Harbour 1941 und nach Hiroshima 1945.
12. Skagerrak 1916
SINN UND UNSINN DER DEUTSCHEN HOCHSEEFLOTTE
Sieg des Pragmatismus
Am 31. Mai 1916 kam es vor der norddänischen Küste zur größten und letzten Schlacht der Seekriegsgeschichte zwischen gepanzerten Schlachtflotten. Die in den Jahrzehnten zuvor mit immensem finanziellen Aufwand geschaffenen Geschwader der britischen Grand Fleet und der deutschen Hochseeflotte stellten auf der einen Seite Produkte fortschrittlichster Militärtechnologie, andererseits Relikte überholter Militärideologie dar. Das von beiden Seiten mit großem Einsatz geführte Gefecht endete mit einem taktischen Erfolg der Deutschen, der jedoch an der strategischen Überlegenheit der Briten nicht das Geringste änderte. Dadurch wurde die Skagerrak-Schlacht zu einem Meilenstein auf dem Weg in die deutsche Weltkriegsniederlage – und ebenso auf dem Weg zu jenen modernen Formen der Seekriegsführung, bei denen die großen Schlachtflotten als ausschlaggebende Faktoren ausgedient hatten.
Verzweifelter Anachronismus
n den ersten Junitagen des Jahres 1916 notierte der Münchner Privatdozent Victor Klemperer in seinem Tagebuch: «Mein Triumph über den Skagerraksieg hat nicht angehalten. Dieser Sieg ist noch sinnloser als die Siege zu Lande. Was entscheidet er denn? Wir haben nur ein Fünftel der englischen Verluste? Aber das wiegt ja für uns schwerer als für die Engländer der fünffach höhere Verlust! Wir haben den moralischen Erfolg? Aber die Engländer werden ja alles anders darstellen, und tatsächlich ist offenbar die deutsche Flotte geradeso erschöpft in ihren Hafen zurückgefahren wie die englische. Ja, wenn man nachstoßen, vernichten, landen könnte, oder wenn man die Blockade endgültig zuschanden machte … Aber bloß so im Stil des Mittelalters sich um der Ritterehre willen eine Schlacht liefern, worauf beide Parteien wieder nach Hause ziehen, ohne daß irgend etwas Wesentliches geändert ist – es ist ein wahnsinniger Anachronismus.»[ 1 ]
Klemperers Notiz ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen, weil ihr Autor ganz selbstverständlich vom «Skagerraksieg» schreibt und dadurch zeigt, dass er zunächst einmal die deutsche Darstellung der vor der dänischen Küste wenige Tage zuvor geschlagenen Seeschlacht übernimmt, auch wenn er sie sogleich hinterfragt.[ 2 ] Sodann lässt er unübersehbar die wachsende Kriegsmüdigkeit in Deutschland durchblicken, indem er klagt, der Sieg sei «noch sinnloser als die Siege zu Lande», die ja in der Tat nach bald zwei Kriegsjahren den entscheidenden Durchbruch nicht bewirkt hatten. Weiterhin sieht Klemperer klar und deutlich, worauf es statt eines Prestigeerfolgs eigentlich strategisch angekommenwäre: auf die Landung auf den Britischen Inseln oder aber die Vernichtung der britischen Flotte, zumindest so weit, dass sie nicht länger in der Lage wäre, die Seeblockade aufrechtzuerhalten, die durch das Abschnüren der lebenswichtigen Versorgungswege Deutschlands Reserven nach und nach aufrieb. Schließlich aber charakterisiert Klemperers Wort von dem «wahnsinnigen Anachronismus» das Geschehen im Skagerrak als solches mit erstaunlicher Hellsichtigkeit.
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