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Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte

Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte

Titel: Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Noch treffender wäre vielleicht der Ausdruck «verzweifelter Anachronismus» gewesen, um die Handlungsmotive zumindest der deutschen Protagonisten – die Klemperer natürlich nicht kennen konnte – in dieser größten Panzerschiffschlacht der Weltgeschichte zu beschreiben. Die Seeschlacht vor dem Skagerrak stellte den tragischen Höhepunkt einer langen unglücklichen Entwicklung dar, jenes deutschen Flottenbauprogramms, bei dessen Planung und Realisierung anachronistische Mentalität und avancierteste Technik sich in höchst folgenreicher Weise verbanden.
Die deutsche «Risikoflotte»
    Brauchte das Deutsche Reich eine Flotte? Nach der Reichsgründung im Jahre 1871 kam zunächst niemand auf die Idee, dass dies der Fall sein könnte. Bismarck betrachtete Deutschland bekanntlich als saturiert und richtete sein Augenmerk nicht auf Kolonien und Weltmachtpolitik, sondern auf das Gleichgewicht der europäischen Mächte. Erst unter seinen Nachfolgern begann sich das zu ändern, und über die vielfältigen Ursachen dafür ist viel geschrieben worden.[ 3 ] Wie kam es, dass ein so brillanter Kopf wie Max Weber in seiner Freiburger Antrittsvorlesung behauptete, «daß die Einigung Deutschlands ein Jugendstreich war, den die Nation auf ihre alten Tage beging und seiner Kostspieligkeit halber lieber unterlassen hätte, wenn sie der Abschluß, und nicht der Ausgangspunkt einer deutschen Weltmachtpolitik sein sollte»?[ 4 ] Und dass Weber mit dieser Behauptung bei der großen Mehrheit seiner Mitbürger auf Zustimmung stieß? In jedem Fall lässt sich ein ganzes Bündel von Motiven ausmachen, deren Zusammenspiel nötig war, um die mitteleuropäische Landmacht Deutschland zu einer Seemacht werden zu lassen.
    Ohne Zweifel spielten dabei innenpolitische Motive eine herausragende Rolle. Nachdem die Reichseinigung durch die siegreich geführten Kriege gegen Österreich 1866 und gegen Frankreich 1870/71 zustande gekommen war, genoss das preußische Heer ein enormes Renommee, und mit ihm sein Führungskorps, jene altaristokratischen Eliten, denen es gelang, trotz abnehmender wirtschaftlicher Bedeutung ihre politische Stellung ebenso zu konservieren wie ihre beherrschende Rolle innerhalb der Armee. Doch führte die weitgehende Monopolisierung der höheren und höchsten Führungspositionen im Heer bei gleichzeitig herausragendem gesellschaftlichen Prestige des Militärs naturgemäß zur Frustration der bürgerlichen Leistungseliten – die sich denn auch für den Plan einer mächtigen Kriegsflotte sofort begeistern ließen. Seit jeher hatte der Kampf zur See Aristokraten eher kaltgelassen und damit ein Betätigungsfeld für aufstiegswillige «Gemeine» geboten.[ 5 ] Daran hatte sich in Deutschland um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nichts geändert, im Gegenteil: Die Möglichkeit, am sozialen Ansehen des Militärs durch den Dienst in der Marine zu partizipieren, gewann noch zusätzlich an Attraktivität, weil die rasante Weiterentwicklung der modernen Kriegsschiffe als geradezu idealtypisches Produkt jenes technisch-industriellen Fortschritts galt, als dessen Träger sich die bürgerlichen Leistungsaufsteiger gerade in Deutschland mit seinen erfolgreichen, weltweit bewunderten Universitäten betrachteten. Es ist kein Zufall, dass der Soziologe Georg Simmel kurz nach der Jahrhundertwende just das Kriegsschiff als die vollkommenste Ausdrucksform der modernen Industrieproduktion, ja, als das Symbol der modernen, arbeitsteiligen und technisierten Massengesellschaft schlechthin bezeichnete.[ 6 ]
    Ebenso wenig war es ein Zufall, dass die Begeisterung weiter Kreise für das Flottenbauprogramm der Kaiserzeit sehr bald eine Dynamik entwickelte, über deren verhängnisvolle Folgen der ehemalige Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg nach dem verlorenen Weltkrieg melancholisch räsonnierte: «Seegeltung war das Zauberwort, dem auch mancher jener Parlamentarier nicht widerstand, deren Kritik sich sonst auf die kleinsten Positionen des Etats erstreckte. […] Zweifel eines engeren Kreises von Sachverständigen, ob wir mit dem Bau von Großkampfschiffen überhaupt auf dem richtigen Wege waren, kamen gegenüber einer fanatischen, im Dienste der herrschenden Richtung disziplinierten Publizistiknicht auf. Bedenken über die schwere internationale Belastung, die sich aus unserer Flottenpolitik ergeben hatte, wurden durch eine robuste Agitation niedergehalten. In der Flotte selbst war nicht überall das Bewusstsein wach, daß sie nur Werkzeug,

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