Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte
nicht aber bestimmender Faktor der Politik zu sein hatte.»[ 7 ]
Die hinter dem Flottenbauprogramm stehende Idee von der Weltgeltung, die es im Wettstreit der Nationen zu erringen gelte, stimmte bestens mit den sozialdarwinistischen Ideen der Epoche vom
survival of the fittest
überein, die keineswegs nur in Deutschland Anhänger besaßen.[ 8 ] Hinzu kam weiterhin, dass die Schlachtflotte in der Person Kaiser Wilhelms II. einen Fürsprecher besaß, der sich für die «schimmernde Wehr» auf See mit jenem «Fanatismus» begeisterte, den Bethmann-Hollweg im Zusammenhang mit der Flotten-Agitation so bitter beklagte. Nach eigener Aussage hatte der Kaiser Mahans einflussreiches Buch über Seekriegsführung geradezu verschlungen, ja versucht, es auswendig zu lernen.[ 9 ] Wie weit er dabei gekommen ist, wissen wir nicht, sicher ist jedoch, dass Wilhelm ein offenes Ohr hatte, als ihm ein energischer und wortmächtiger Marineoffizier seine seestrategischen Überlegungen vorstellte: Alfred von Tirpitz.
Tirpitz, wie so viele Marineangehörige bürgerlicher Herkunft, war seit 1897 als Staatssekretär im Reichsmarineamt tätig. Formal gesehen stellte das keine Führungsposition dar, doch verstand es Tirpitz als Admiral, seit 1911 Großadmiral, dank unermüdlicher Arbeitskraft, schneller Auffassungsgabe und politischen Geschicks, bei dem ihm nicht zuletzt ein sensibles Gespür für die wachsende Bedeutung der Massenpropaganda zugute kam, seine Ziele durchzusetzen.[ 10 ] Diese Ziele oder besser: das eine, große Ziel bestand im Bau einer Flotte, mit der das Deutsche Reich Aussichten hatte, sich im Kampf der Nationen zu behaupten. Schon 1898 fasste er seine dem Flottenbauprogramm zugrunde liegenden geostrategischen Überlegungen knapp und anschaulich zusammen: «Das Zusammenballen von Riesennationen Panamerika, Great Britain, das Slawentum und möglicherweise der mongolischen Rasse mit Japan an der Spitze werden (!) Deutschland im kommenden Jahrhundert vernichten oder doch ganz zurückdrängen, wenn Deutschland nicht eine politische Macht auch über die Grenzen des europäischen Kontinents hinaus wird. Die unerläßliche Grundlage hierfür in dieser Welt, wo die Dinge hart aufeinandertreffen – ist eine Flotte.»[ 11 ]
Tatsächlich gelang es Tirpitz, enorme Mittel durch die Flottengesetze der Jahre 1898 und 1900 vom Reichstag bewilligen zu lassen, nicht zuletzt durch die energische Unterstützung des Kaisers, der nach eigenem Bekunden zu einem «Kampf auf Leben und Tod» für die Flotte entschlossen war.[ 12 ] Und es gelang Tirpitz auch, diese Mittel in der ihm angemessen erscheinenden Weise zu verwenden, nämlich für den Bau einer großen Schlachtflotte.
Das war keine Selbstverständlichkeit, denn zwischen den Marinetheoretikern hatte sich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine erbitterte Debatte darüber entwickelt, welche strategischen Ziele im Seekrieg zu verfolgen seien. Da der Mensch als Landwesen ja von der Seeherrschaft als solcher nicht profitiert, musste es, zumal im Zeitalter der industriellen Massenproduktion mit ihrem gewaltigen Bedarf an Rohstoffzufuhr und Produktabsatz, darum gehen, die eigenen Handelswege zu sichern und diejenigen des Gegners zu unterbrechen. Diese Überzeugung teilten alle Vertreter des «Navalismus», denen die Kontrolle der Seewege in letzter Konsequenz für die Machtposition eines Staates wichtiger erschien als die Beherrschung des Festlands.
Umstritten blieb hingegen, wie dieses Ziel zu erreichen sei. Die Vertreter der Kreuzerkrieg-Theorie gingen davon aus, dass es am wirksamsten sei, durch weltweit einsatzfähige, schnelle, kleine Kreuzergeschwader den Gegner zu treffen und zugleich die eigenen Handelsverbindungen zu schützen. Demgegenüber vertraten die Schlachtflotten-Anhänger die Ansicht, das Ziel müsse sein, die Seeherrschaft direkt vor den Küsten des Feindes zu erringen. Zu diesem Zweck brauche man eine große, aus schweren Einheiten bestehende Schlachtflotte, die keiner anderen Aufgabe diene, als die Schlachtflotte des Feindes zu stellen und zu schlagen. Der wichtigste Vertreter der Schlachtflotten-Theorie war Alfred Thayer Mahan, und er führte als Beleg für seine These die historische Erfahrung der drei Englisch-Niederländischen Kriege an, die im 17. Jahrhundert ja in der Tat als eine Reihe von Seeschlachten im Ärmelkanal ausgefochten worden waren und England schließlich die maritime Vorherrschaft eingetragen hatten.[ 13 ]
Alfred von Tirpitz folgte den
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