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Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte

Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte

Titel: Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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schweren Treffer erkennen, die das Schiff in der Skagerrak-Schlacht hatte hinnehmen müssen.
    Trotz der bitteren Verluste der Briten schien die Schlacht just in diesem Moment die entscheidende Wendung zu ihren Gunsten zu nehmen, als kurz nach 18:30 Uhr die beiden Hauptflotten einander gewahr wurden. Der sich dabei bietende Anblick muss für Scheer ein niederschmetternder Schock gewesen sein: Vor ihm lagen über eine Länge von nahezu sieben Seemeilen von Nord bis Ost die Großkampfschiffe der Grand Fleet in mustergültig rangierter Gefechtslinie. Sie befanden sich also genau in der gefürchteten «Crossing-the-T»-Position und eröffneten sofort ein konzentriertes Salvenfeuer. Scheers ohnehin zahlenmäßig weit unterlegene Einheiten waren nicht nur durch ihre Position, sondern auch durch die Sichtverhältnisse darin behindert, das Feuer zu beantworten. Die Reaktion desdeutschen Flottenkommandanten war kaltblütig und trug ihm Anerkennung auch auf Seiten des Gegners ein. «Da der Druck des feindlichen Feuers auf die Spitze offenbar sehr stark, ein weiteres Abbiegen der Spitze zu ungünstiger artilleristischer und taktischer Situation führen muß, sehe ich mich gezwungen, die Linie umzulegen.»[ 29 ] Hinter diesen dürren Worten in Scheers Kriegstagebuch verbirgt sich der Befehl zum kompliziertesten Manöver, das ein Flottengroßverband überhaupt ausführen kann, zur sogenannten «Gefechtskehrtwende», das heißt zur Wendung aller Einheiten um 180° – bei voller Geschwindigkeit und anschließender sofortiger Bildung einer neuen Gefechtslinie.

    Das so schwierige wie überraschende Manöver gelang, und Jellicoe unterließ es, den abziehenden Feind energisch zu verfolgen, weil er befürchtete, die abdrehenden Deutschen würden Minen legen und Torpedos einsetzen. Damit hätte die Schlacht vor dem Skagerrak ihr Ende finden können, wenn nicht Scheer kaum eine halbe Stunde nach der ersten Gefechtskehrtwende das Manöver hätte wiederholen lassen, um den haushoch überlegenen Gegner ein zweites Mal anzufallen.
    Über die Gründe für diesen Entschluss ist viel gerätselt worden. Scheer selbst führte in seinem Bericht über die Schlacht vom 4. Juni wenig zwingende Gründe an und soll später gesprächsweise geäußert haben, «man werde sich wohl später in allen Akademien usw. den Kopf darüber zerbrechen, was er sich dabei gedacht habe. Er habe sich tatsächlichnichts gedacht.»[ 30 ] Ob es tatsächlich Scheer vor allem darum ging, die Besatzung des havarierten Leichten Kreuzers
Wiesbaden
zu retten, ob er hoffte, durch den Überraschungseffekt den Gegner zu Fehlern zu veranlassen und zu einem «lucky punch» zu kommen, oder ob es schlicht die anachronistische Freude am Exzellieren mit der Waffe war, ungeachtet oder gerade wegen ihrer monströsen Größe – es wird sich nicht mehr klären lassen. In jedem Fall führte der martialische Befehl «Gefechtswendung rein in den Feind! Ran!» nur zu einer Reihe weiterer Treffer auf den deutschen Großkampfschiffen, so dass Scheer schon wenige Minuten später mit einer dritten Gefechtskehrtwende den Kampf erneut und nun endgültig abbrechen musste. Zur Deckung seiner ablaufenden Einheiten ließ Scheer die Torpedoboot-Flottillen angreifen.
    Dass Jellicoe daraufhin nach Südosten abdrehte, um den Torpedobooten auszuweichen, statt seine insgesamt sehr vorteilhafte Lage zu nutzen, um den Gegner energisch zu verfolgen, zu stellen und unter günstigen Umständen zu vernichten, ist ihm später immer wieder vorgeworfen worden.[ 31 ] Doch lag seiner Entscheidung das nüchtern abwägende Verantwortungsbewusstsein zugrunde, mit dem er schon am 30. Oktober 1914 in einem Brief an die Admiralität die Prinzipien seines Handelns in einer solchen Lage erläutert hatte: «Wenn zum Beispiel die feindliche Schlachtflotte vor einer herannahenden Flotte abdreht, muß ich annehmen, daßdie Absicht besteht, uns über Minenfelder oder an Unterseeboote zu führen, und würde es ablehnen, mich dorthin ziehen zu lassen. Ich glaube, daß eine solche Taktik, falls nicht verstanden, mir einen schlechten Ruf einträgt. Solange ich jedoch das Vertrauen Ihrer Lordschaften besitze, beabsichtige ich so zu handeln, wie es nach meiner wohlüberlegten Meinung angemessen und am besten ist.»[ 32 ]

    Ohne Frage: Ein Nelson hätte in den Abendstunden des 31. Mai 1916 anders gehandelt und sich vom Angriff der Torpedoboote kaum beeindrucken lassen. Doch hatte Jellicoe sein wichtigstes strategisches Ziel erreicht:

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