Große und kleine Welt (German Edition)
Arbeiten troesteten ihn, vermochten aber die Erinnerung an so viele glueckliche Stunden, die er neben Adelaide verlebt hatte, nicht zu verbannen. Als er an einem der naechsten Abende seine Werkstatt verliess, fand er die Tuer zu der Wohnung der beiden Damen halb geoeffnet.
Eine weibliche Gestalt stand in der Bruestung des Fensters, und er konnte nicht voruebergehen, ohne von Adelaide gesehen zu werden. Er begruesste sie kalt und warf ihr einen gleichgueltigen Blick zu, schloss dann aber von seinem Kummer auf den des jungen Maedchens und fuehlte eine heftige Ruehrung, als er die ganze Bitterkeit erwog, die sein Blick und seine Kaelte in einem liebenden Herzen hervorbringen mussten.
Eine Wonne, wie die beiden sie genossen, durch so tiefe Vernachlaessigung, durch so tiefe Verachtung zu kroenen, das war in der Tat ein schreckliches Ende!
Vielleicht hatten sie die Boerse wiedergefunden, vielleicht hatte Adelaide an jenem Abend ihren Freund erwartet! Dieser Gedanke, der so einfach und natuerlich war, erweckte bei Hippolyt eine neue Reue, und er fragte sich, ob die Beweise von Zartgefuehl und Anhaenglichkeit, die ihm das Maedchen gegeben hatte, ob die reizenden und liebevollen Plaudereien, die ihn entzueckt hatten, nicht wenigstens eine Frage, eine Rechtfertigung verdienten. Er schaemte sich, eine ganze Woche lang den Wuenschen seines Herzens widerstanden zu haben, betrachtete sich fast als den schuldigen Teil und begab sich noch an demselben Abend zu Frau von Rouville. Sein ganzer Verdacht, alle seine boesen Gedanken entschwanden bei dem Anblick des jungen Maedchens, das bleich und abgehaermt erschien.
"Was fehlt Ihnen?" fragte er, nachdem er die Baronin begruesst hatte. Adelaide antwortete ihm nicht, sondern richtete nur einen schwermutsvollen, traurigen und entmutigten Blick auf ihn, der ihm wehe tat.
"Sie haben ohne Zweifel viel gearbeitet?" fragte die alte Dame; "Sie haben sich sehr veraendert, und wir sind gewiss die Ursache, weshalb Sie sich jetzt so bestaendig in Ihrer Werkstaette einschliessen. Das fuer uns gemalte Bild hat wahrscheinlich einige Arbeiten verzoegert, die fuer Ihren Ruf von Wichtigkeit sind."
Hippolyt freute sich, eine so schoene Entschuldigung seiner
Unhoeflichkeit zu finden. "Ja," antwortete er, "ich bin sehr fleissig
gewesen, aber ich habe auch viel gelitten…." Bei diesen Worten erhob
Adelaide den Kopf und blickte Hippolyt an; ihre Augen drueckten nur noch
Sorge aus, aber keinen Vorwurf mehr.
"Haben Sie denn gedacht, wir waeren so gleichgueltig gegen Ihr Glueck oder
Ihr Unglueck?" fragte die alte Dame.
"Ich habe Unrecht gehabt!" versetzte Hippolyt; "aber dennoch gibt es
Leiden, die man nicht mitzuteilen wagt, selbst dann nicht, wenn die
Freundschaft bereits aelter ist als die unsrige."
"Aufrichtigkeit und Staerke der Freundschaft duerfen nicht nach der Dauer der Zeit gemessen werden. Es gibt alte Freunde, von denen der eine nicht einmal eine Traene fuer das Unglueck des andern hat," sagte die Baronin.
"Aber was fehlt Ihnen?" wandte sich Hippolyt an Adelaide.
"Oh, gar nichts," antwortete die Mutter. "Sie hat einige Naechte bei einer weiblichen Arbeit gesessen und nicht auf mich hoeren wollen, obgleich ich ihr sagte, dass es auf einen Tag mehr oder weniger nicht ankomme."
Hippolyt verlor sich abermals in wunderlichen Gedanken. Wenn er diese edlen und ruhigen Zuege betrachtete, so musste er ueber seinen Verdacht erroeten und den Verlust seiner Boerse irgend einem unbekannten Zufall zuschreiben.
Dieser Abend war ein koestlicher fuer ihn, und vielleicht auch fuer Adelaide. Es gibt Geheimnisse, die jugendliche Herzen so leicht erraten; das junge Maedchen erriet jedenfalls die Gedanken des Malers. Der Maler dagegen erriet die Gedanken des Maedchens, kehrte liebevoller und freundlicher zu seiner Geliebten zurueck und suchte sich eine stillschweigende Verzeihung zu erwerben. Adelaide genoss dagegen so vollkommene, so suesse Freuden, dass es ihr schien, als habe sie dieselben nicht zu teuer durch das Unglueck erkauft, das ihre Liebe so grausam verletzt hatte. Dieser so aufrichtige Einklang ihrer Herzen, dieses zauberische gegenseitige Verstaendnis wurde dennoch durch eine Bemerkung der Baronin von Rouville gestoert.
"Lassen Sie uns ein Spielchen machen," sagte sie zu Hippolyt.
Diese Worte erweckten alle Befuerchtungen des jungen Mannes von neuem. Er erroetete, waehrend er Adelaidens Mutter anblickte, bemerkte aber auf ihrem Antlitz nur den Ausdruck einer untruegerischen Herzensguete. Er
Weitere Kostenlose Bücher