Großer-Tiger und Christian
totschießen soll.«
»Da sein Geschick so groß ist«, sagte Dampignak, »soll er die Menschen am Leben lassen und in die Reifen des Wagens schießen.«
»Wozu dient Reifenschießen?«, erkundigte sich Kao-Scheng erstaunt.
»Damit es einen entsetzlichen Knall gibt«, erklärte ihm Mondschein, »nachher kann der Wagen nicht mehr weiter.«
»Fallende-Wand wird von neuem einstürzen«, rief Kao-Scheng besorgt.
»Desto besser«, tröstete Mondschein; »wenn der Donner die Verbrecher verwirrt, kann man sie leicht fangen.«
»Postiert euch da«, befahl Dampignak, »wo es keine Felsen gibt.«
»Jetzt ist es ein guter Plan«, rief Kao-Scheng erfreut, »gestattet, dass ich meinen Soldaten Anweisung gebe und die Befehle
erteile.«
Dampignak nickte, und Kao-Scheng setzte seinen Männern auseinander, um was es sich handelte.
Bevor sie aufbrachen, befahl er dem Sarten, sich vor Dampignak zu verneigen. »Dieses ist der Geisterschütze«, stellte Kao-Scheng
vor, »er heißt Kasim, und jetzt reiten wir.«
»Bleibt auf dem Posten«, befahl Dampignak, »bis morgen früh die Sonne aufgeht. Da werden wir bei Euch sein und gemeinsam in
Fallende-Wand eindringen. Sollte inzwischen was passieren, sind wir in der Nähe und stehen Euch bei.«
»Wir werden den Sieg erringen«, rief Kao-Scheng stolz, »bei unserem Anblick werden die Verbrecher erzittern.«
Er schwang sich in den Sattel und folgte seinen Leuten, die schon ein Stück vorausgeritten waren. Sie schwenkten die Gewehre,
und Großer-Tiger und Christian riefen: »Sä Jabonah!«
»Warte zwei Augenblicke«, sagte Dampignak zu Mondschein, »wir reiten gleich weiter.«
Dann bat er Christian, die Karte zu holen. Er breitete sie auf den Knien aus, aber das ging nicht gut. Also legte er sich
auf die Erde, und winkte Christian und Großer-Tiger, sich neben ihn zu legen.
Lange betrachtete Dampignak das Westliche-Blatt. Schließlich deutete er auf die schraffierte Felsengegend und fragte Christian,
ob hier der Ort Fallende-Wand sei.
Christian sagte: »Großer-Tiger und ich denken, dass es so ist«, und auf einmal rief er: »Es ist bestimmt so«, denn er hatte
die Klammer entdeckt, die Engpass bedeutet, und sie war am Nordende des Tales.
Dampignak nickte befriedigt. »Aber«, sagte er, »es ist schade,dass man nicht weiß, welche Seite von Fallende-Wand die höhere ist: die, auf der die Felsen sind, oder die andere.«
»Man weiß es«, rief Christian eifrig, »und es ist die Ostseite, wo keine Felsen sind oder nur wenige.«
»Wie das?«, fragte Dampignak.
Christian holte das Vergrößerungsglas aus der Mappe und zeigte auf die kleine Zahl, die auf dem Kamm der Berge im Osten von
Fallende-Wand stand. Sie hieß: 2156.
»Diese Zahl bedeutet Meter«, erklärte Christian, »und es ist die Höhe der Berge. Wenn viele beieinander sind, dann ist auf
den Landkarten immer der höchste Berg der, auf dem die Zahl steht. Also ist die Felsenseite niedriger.«
»Ist 2156 sehr hoch?«, fragte Großer-Tiger.
»Es ist hoch«, sagte Christian, »aber weil da, wo wir jetzt sind, 2000 steht, ist der Unterschied nicht groß. Es sind bloß
156 Meter, also rund 500 Fuß.«
»Bolna!«, sagte Dampignak und erhob sich. Er klopfte Christian und Großer-Tiger auf die Schultern, und das hieß so viel wie:
»Mit euch kann man was unternehmen«, und Mondschein, der den Pferden die Fußfesseln abgenommen hatte, schmunzelte.
Dann saßen sie auf. Zum Verdruss Mondscheins erlaubte der Uralte-Herr keinen Galopp und nicht einmal einen kleinen Trab. Wie
immer ritt er an der Spitze, aber wenn er sonst wenig auf den Weg achtete und auf die Umgegend kaum einen Blick verwandte,
gab es jetzt kein Ding, das er nicht mit Aufmerksamkeit betrachtete. Er ließ die Eselspur nicht aus den Augen, er blickte
scharf voraus, und bestimmt hätte er Grünmantel in aller Weite entdeckt, denn der verwehte Karawanenweg führte im Süden am
Rand eines Bergzuges stetig aufwärts. Allerdings merkte man die Steigung kaum. Nach Norden dehnte sich ein unbegehbares von
tausend Rissen zerfurchtes Hochplateau. Mittag war vorüber, als der Weg aufhörte zu steigen. Dampignak ritt noch vorsichtiger.
Einen Li und dann noch einen lief die Rinne mit der Eselspur geradeaus, dann senkte sich der Weg.
Das Hochplateau rechts brach in steilen Wänden ab. Links teilte sich der Hang in zahllose Falten, aus denen weiter unten einschwarzer Fels zutage trat. Aus dem Tal wurde eine Schlucht, und man sah auch,
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