Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
Vom Netzwerk:
der andern war eine Eisenstange, und an der Eisenstange hingen Ketten, und an den Ketten waren
     lederne Halsbänder mit silbernen Verzierungen, und in den Halsbändern steckten fürchterliche Tiere, die uns die Zunge zeigten
     und den Rachen und alle Zähne. Es waren fünf Stück, und ich dachte zuerst, es seien Tiger, aber weil sie ein weißes Fell hatten,
     waren sie keine, sondern Großer-Tiger sagte: ›Dieses sind Schneeleoparden, und mein Onkel kennt sie.‹ Jetzt kennen wir sie
     auch.
    Unser Führer ging voraus, als ob die Bestien nicht da wären,und ich merkte, dass zwischen der Mauer und den Tatzen der wilden Tiere so viel Platz war, dass man hintereinander gehen kann,
     ohne dass sie einen erwischen. Da hatte ich weniger Angst als vorher.
    Am Ende der Gasse war eine hohe Holztreppe, auf der ein alter Mann mit einem großen weißen Vollbart stand. Er lächelte, und
     Großer-Tiger und ich dachten gleich, dass das der König war. Deshalb gingen wir ganz aufrecht neben den Leoparden her, und
     die Leoparden liefen an der Kette mit, so lang wie die Eisenstange war. Sie hätten uns gern gefressen, aber es ging nicht,
     und weil wir merkten, dass es ein Spaß war und kein Ernst, wurden wir immer tapferer. Da kam uns der König ein Stückweit entgegen.
     Oben war alles aus Holz, das Geländer, die Treppe, die mehr als hundert Stufen hatte, und ein Pavillon, wo wir noch einmal
     Tee trinken sollten. Dreimal reichten wir die Tassen zurück, indem wir so höflich sind, und jedes Mal tat der König eigenhändig
     ein Stück Zucker mehr hinein. Er dachte, der Tee wäre uns nicht süß genug, und wir wunderten uns sehr, weil er doch Wissen
     muss, dass man keinen Zucker in den Tee tut. Zum Glück war einer da, der Chinesisch konnte, und er sagte, wir sollten den
     Tee ruhig trinken, denn wir seien bei einem Rechtgläubigen und nicht bei einem Chinesen zu Gast, und überall seien die Sitten
     anders. Nachher machten wir ein Frage- und Antwortspiel. Der König fragte, der Dolmetscher fragte noch einmal, und wir antworteten,
     und als wir nach Hause kamen, stand im Hof ein Sack mit guten Sachen und mit vielen Grüßen von Ching-Wang-Ye-Schah-Maksut.«
    »Ich habe viel geschrieben«, sagte Christian zu Großer-Tiger, als er fertig war, »und vielleicht ist jetzt der richtige Ernst
     dabei. Es handelt nämlich von den wilden Tieren und von dem König, den wir besucht haben.«
    »Lass hören«, sagte Großer-Tiger.
    »Ist es gestattet«, fragte Glück, der zur Tür hereinkam, »dass ich deiner Belehrung teilhaftig werde?«
    »Der befehlende Herr«, antwortete Christian bescheiden, »sieht ein Ei und möchte, dass es schon kräht. Ich schreibe nicht
     zur Belehrung, sondern bloß so.«
    »Aha«, sagte Glück, »wenn es bloß so ist, höre ich um so lieber zu.«
    Also las Christian vor, wie es bei dem mohammedanischen König gewesen war, aber Großer-Tiger schüttelte den Kopf.
    »Es ist nur wenig besser«, sagte er, »lass mich mal eine Seite schreiben, wenn wir morgen Abend wo sind.«
    »Morgen Abend sind wir in Tschiku-Tsching«, behauptete Glück, »übermorgen in Kutschen-Se, und wenn die Speichen nicht von
     den Rädern fallen, sind wir am nächsten Abend in Urumtschi.«
    »Gibt es das bei einem Wagen, der von selber geht?«, fragte Kao-Scheng, der eben eintrat. Er trug prächtige Achselstücke und
     in der Hand ein Bambusstöckchen, wie es sich für seinen Rang geziemte.
    »Es gibt noch viel mehr«, behauptete Glück. »Die Speichen sind das Wenigste. Meist fliegen gleich ganze Räder weg, und dann
     ist es ein Unglück.«
    »Kommt so was oft vor?«, erkundigte sich Kao-Scheng besorgt. »Haufenweise«, sagte Glück, und dann krachte der Kanonenschuss,
     der den Untergang der Sonne, das Schließen der Stadttore und den Beginn der Nacht anzeigte. Da der Schuss vor der Tür des
     Yamen abgefeuert wurde, erschraken alle miteinander, und im Hof bellte der Pudel. Nachher, als sie merkten, dass es nur der
     Abendschuss war, lächelten sie sich zu, und Kao-Scheng sagte: »Wir leben in einem Staat der Ordnung.«
    Christian und Großer-Tiger gingen in den Hof, wo der Pudel neben dem Wagen lag und sie freudig begrüßte. Sie nahmen Dörrfleisch
     aus dem Reisesack, und Großer-Tiger holte Wasser aus der Küche, denn hier war es nicht wie in Dampignaks Burg. In Hami musste
     ein Hund für sich selbst sorgen. Nachher bereiteten sie ihm ein Lager auf dem Wagen, hießen ihn hinaufspringen, und sie befahlen
     ihm, auf alles gut

Weitere Kostenlose Bücher