Großer-Tiger und Christian
aufzupassen.
»Nicht nötig«, sagten zwei Soldaten, die kamen, um während der Nacht den Wagen und das Silber zu bewachen.
Aber Großer-Tiger sagte: »Er ist es so gewohnt, er ist kein gewöhnlicher Hund, und er ist sehr scharf.«
Als sie in das Gästezimmer zurückkehrten, lagen Kao-Schengund Glück schon auf dem Kang, und Glück hatte das gelbe Kalenderbuch aufgeschlagen vor sich.
»Man sieht nicht mehr recht, was da steht«, sagte Glück, »doch so viel ich sehe, ist morgen ein Unglückstag erster Ordnung.«
»Das kann nicht sein«, widersprach Kao-Scheng, »gestern war der Tag, an dem ›Klare-Luft‹ beginnt, also muss es ein Glückstag
sein.«
»Eigentlich ist es einer«, gab Glück zu, »allein während Klarer-Luft ist es verboten, zu arbeiten und an Arbeit zu denken.
Die Tiere sollen sich ausruhen, und die Wagen, die von selber gehen, müssen sich erholen. Wer trotzdem was arbeitet, läuft
Gefahr.«
»Was für eine Gefahr?«, wollte Kao-Scheng wissen, aber Glück klappte das Buch zu und sagte, das würde sich morgen herausstellen.
Kao-Scheng konnte lange nicht einschlafen. Er hörte die Nachtwächter, die mit zwei Hölzern aneinanderschlugen oder mit der
Rassel lärmten, um den Dieben, falls es welche gab, ihre Anwesenheit mitzuteilen. Dann knurrte der Pudel, und Kao-Scheng hörte,
wie er die Zähne fletschte.
»Der verdammte Hund«, sagte einer der beiden Wachsoldaten leise. Sie hatten sich zehn Schritte vom Wagen entfernt unter das
Vordach des Gästezimmers gesetzt.
»Nichts zu machen«, antwortete der Zweite ebenso leise.
Spitzbuben, dachte Kao-Scheng belustigt. Er lächelte, denn er hatte Verständnis für arme Soldaten, die selten eine Löhnung
kriegten. Aber schlafen konnte er deswegen doch nicht.
Erst gegen Morgen fiel Kao-Scheng in einen unruhigen Schlummer, doch da stand Glück auf, füllte Benzin und Wasser nach, und
als die Sonne aufging, rollte der Wagen zum Westlichen-Tor hinaus.
Gleich hinter Hami begann die Wüste wieder; allein ihre Macht war gebrochen. Es gab Einzelhöfe und kleine Weiler, und man
sah, dass der gute fruchtbare Lössboden an die Oberfläche drängte. Nur das Wasser fehlte. Es musste mühsam in unterirdischen
Kanälen vom Fuß der nahen Berge bis zu den Feldern geleitet werden. Der Karrenweg, der die Dörfer verband, warschlecht, und eigentlich gab es nur zwei Siedlungen, die mehr als fünf Häuser hatten. Sie lagen hundert Kilometer auseinander.
Das eine war Lo-Tung, wo der Weg durch das Teufelstal nach Turfan abbog, und das andere war Tschiku-Tsching, wo sie am späten
Nachmittag eintrafen.
In Tschiku-Tsching standen die Männer und die Kinder auf der Straße, um die seltenen Gäste zu bestaunen. Auch eine Art Herberge
war da, aber kaum hatte Glück das Gastzimmer gesehen, als er wiederkam und sagte: »Wir werden auf dem Wagen schlafen. Bis
jetzt haben wir keine Läuse gekriegt, und wir wollen lieber nicht damit anfangen.«
Christian gab Großer-Tiger das Tagebuch, und Großer-Tiger schrieb sorgsam und mit schönen chinesischen Zeichen hinein: »Wir
sind in Tschiku-Tsching. Es ist der dreizehnte Tag des dritten Monds, und es verspricht eine klare Nacht zu werden. Der Herr
Oberst Kao-Scheng ist fröhlich, weil wir einen guten Reisetag hatten. Die Bewohner des Dorfs sind Sarten. Die Männer tragen
große Bärte, und die Frauen sieht man nicht, weil sie sich vor Fremden nicht zeigen. Ringsum sind hohe und kahle Berge. Der
Herr Oberst spricht vollendet türkisch, und wir bewundern ihn dafür. Er hat uns ein vorzügliches Abendessen besorgt, das man
Palao nennt. Ich glaube, es war Reis mit viel Hammelfleisch und Rosinen. Auch einige Quittenschnitze habe ich erkannt. Der
befehlende Herr Glück erfreut sich bester Gesundheit, Kompass-Berg befindet sich wohl und ich auch. Der Hund bewacht uns.
So können wir ruhig schlafen. Es war ein glücklicher Tag mit guten Vorzeichen.«
»Ein schöner Bericht«, lobte Glück, als Großer-Tiger vorgelesen hatte.
»Die guten Vorzeichen«, bemängelte Kao-Scheng, »habe ich nicht bemerkt, aber es freut mich, dass du sie gesehen hast.«
»Morgen ist ein gerader Tag«, erinnerte Großer-Tiger, »schon das ist glückverheißend.«
»Tinger metne«, sagte Glück halsstarrig. Entweder wollte er durch seine Bereitschaft, ein Unglück hinzunehmen, das Gegenteil,
nämlich das Glück, herbeirufen, oder er wollte Kao-Scheng Bange machen. Vielleicht wollte er beides.
Aber auch Kao-Scheng blieb
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