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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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Hund könnte verlorengehen«, erinnerte Großer-Tiger.
    »Haltet ihn fest«, flüsterte Glück, »wenn ich ein bisschen schneller fahre als sonst.«
    Der Hof des Yamen lag still und kalt im Mondlicht. Über die beiden hohen Masten der Regierungshalle war der Sternenhimmel
     gespannt, und an ihrem Sockel brannte das Feuerchen der Wachsoldaten. Der Tag war noch fern.
    Einer stand auf und schob die Balken vom Tor. Tüt, tüt, tüt, tüt plärrte die Hupe, und dann fuhr Glück durch die leere Hauptstraße
     von Kutschen-Se, sehr langsam und sehr rücksichtsvoll. Auch das Stadttor öffnete sich ihm, ohne dass er aussteigen brauchte,
     und Großer-Tiger und Christian sahen an den Scheinwerfern des zweiten Wagens, dass Kao-Scheng folgte. Man sah sie nicht mehr
     lange. Gleich hinter dem Stadttor klopfte Glück an das Fensterchen, und als Christian schaute, was es gab, zwinkerte Glück
     und grinste bloß. Dann gab er Gas. Eine Staubwolke erhob sich, das Stadttor verschwand, die Lichter von Kao-Schengs Wagen
     verdunkelten sich zusehends, und Christian und Großer-Tiger hielten den Pudel fest, bis er sich an das schnelle Fahren gewöhnte.
    Eine Stunde später schliefen alle drei.
    Es war aber immer noch Nacht. Nicht umsonst war Glück zur Stunde des Tigers aufgebrochen. Er wollte in Urumtschi einfahren,
     wenn der Mittagschuss krachte und die Leute sich ein wenig auf den Kang legten, um auszuruhen. Er wollte keine Trompeten und
     Trommeln wie in Hami, und vor allem wollte er Kao-Scheng weit hinter sich lassen. Glück hatte sich endgültig zur Bescheidenheit
     bekehrt. Leider kam es anders.
    Als der Morgen graute, fuhr Glück durch die Ortschaft Tsinüschwan. Die Häuser standen abweisend mit verschlossenen Toren,
     und in der Dorfmitte lagen die Abfälle des Wochenmarkts. Auf den Feldern arbeiteten die Männer, aber man sah nur die gekrümmten
     Rücken und die Arme, die die Hacke hoben und senkten. Ein blauer Nebel schwebte über dem Boden, und Glück musste zu seinem
     Verdruss langsam fahren, damit er die Straße nicht verlor. Doch das dauerte nur kurze Zeit. Die wenigen Felder wichen der
     Wüste, und als die Sonne aufging, führten die Karrengleise über eine endlose Kiesfläche. Es machte wenig aus, ob man seitwärts
     fuhr oder der Straße folgte. Im Süden erhob sich, von unscheinbaren Vorbergen getragen und immer höher ansteigend, das wilde,
     schneebedeckte Hochgebirge des Bogdo-Ola. Der Gipfel des Götterbergs war von weißen Wolken eingehüllt.
    »Himmel und Erde stoßen zusammen«, sagte Christian, als er aufwachte.
    »Himmel und Erde wirken gemeinsam«, sagte Großer-Tiger.
    Sie betrachteten schweigend das nie gesehene Wunder eines Berges, der am klaren Morgen bis in die Wolken reichte. Nachher
     schauten sie, wo Kao-Scheng sei. Sie beschatteten die Augen mit den Händen, und sie hätten Kao-Scheng bestimmt gesehen, wenn
     er da gewesen wäre, denn Glück fuhr seitlich des Karrenwegs, wo nur wenig Sand aufwirbelte und gleich wieder zu Boden fiel.
     Allein der zweite Lastwagen war nirgends zu entdecken.
    Als die Kieswüste zu Ende ging und feiner Flugsand den Boden überflutete, kehrte Glück auf die Straße zurück. Rechts und links
     gab es dichte Tamariskendschungel, Schilf wucherte dazwischen, und Fasanen liefen, vom Getöse des Motors erschreckt, über
     den Weg. Bald sah man die Dächer eines Dorfes, die, von einem Minarett überragt, einige Wohlhabenheit verkündeten.
    Über den Fluss, der aus dem Gebirge kam, war eine neue Holzbrücke gebaut, und die kurze Bazarstraße war sauber gefegt. Mittendarauf
     stand ein weißgedeckter Tisch, und drei würdige Männer mit grauen Bärten eilten herbei und verneigten sich.Wenn Glück sie nicht umfahren wollte, musste er halten. Also zog er die Bremse und stieg aus.
    Keiner verstand den andern, aber man begrüßte sich mit vielen Worten der Hochachtung, und Christian und Großer-Tiger kreuzten
     die Arme und sagten einige Male: »Sallam!« Das hatten sie von Kasim gelernt.
    »Jetzt sollt ihr frühstücken«, sagte Glück, »zeigt den Muselmännern, dass ihr Hunger habt, damit sie sich nicht kränken müssen.«
    »Wir hören und gehorchen«, sagten Christian und Großer-Tiger, und dann machten sie sich über die warmen Pastetchen her, die
     auf einer großen Platte aufgebaut waren. Glück griff ebenfalls zu. Er hatte von dem Fahrer des zweiten Lastwagens im Vertrauen
     gehört, dass man in dem Ort Fu-Kan nach Sonnenaufgang ein Frühstück für sie bereit halte.

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