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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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mehr Serrath und nicht mehr Märin wie vorher; man gab ihm den schmerzlichen
     Namen Dogolon, der Hinkende. Weil er keine Pferde mehr hüten konnte, verkaufte er die zwölf, die ihm gehörten. Für das Geld
     erwarb er Kamele.
    Wir hatten ohnehin das meiste Grasland an die Chinesen verloren, und so war es gleich, ob wir eine oder zehn Tagereisen weit
     weg die Kamele weideten. Über die Sommermonate war mein Vater von da an fort. Er führte die Kamele dorthin, wo die Steppe
     aufhört, und wo die Wüste beginnt. In der Steppe gab es grünes Gras und Kräuter, und wenn die Kamele in die Wüstekamen, fraßen sie trockene Derres-Halme und Gelbholz. Sie benagten die Tamarisken, und dabei wurden sie kräftig und fett zugleich.
     Viele Händler kamen und kauften; wir hatten zu essen, und in der Truhe meines Vaters lagen einige Silberschuhe. Er hatte mit
     zehn Kamelen begonnen, und wir besaßen zweiundzwanzig, als vor zwei Jahren Grünmantel zu uns kam. Grünmantel war ein reicher
     Kaufherr geworden, aber es gab Leute, die sich darüber wunderten und die Köpfe schüttelten, und ›Aha‹ sagten, und: ›wir wissen
     schon, weshalb.‹
    Unsere Kamele waren noch auf der Winterweide ein paar Stunden von hier. Sie trugen das dicke Winterfell, sie hatten pralle
     Fetthöcker, und Lo-Tjang und ich waren als Hüter bei ihnen. Lo-Tjang ist der älteste Sohn einer der drei Familien aus Schensi,
     und weil er arm war, gab ihm mein Vater zwei Silberbatzen im Monat. Dafür hütete er im Winter die Kamele mit mir und im Sommer
     die Schafe, und wir wurden Freunde. Wir verscheuchten den Wolf, und wir kannten das Grasland und alle guten Brunnen ringsum.
    An dem Abend, als Vater Dogolon mit Grünmantel den Handel machte, den er später bereute, kamen beide zu uns auf die Weide.
     Sie suchten die zehn besten Kamele aus, und als das geschehen war, sagte Grünmantel zu Lo-Tjang: ›Wer bist denn du?‹ Dabei
     schob er die Augenbrauen auseinander und versuchte wie ein freundlicher Mensch auszusehen. Lo-Tjang sagte, wer er sei und
     woher er war. Da tat Grünmantel erstaunt und sagte: ›Komm einmal her, ich muss dir dies und das sagen.‹ Er nahm Lo-Tjang beiseite
     und sprach mit ihm, ohne dass wir es hören konnten.
    Er sagte: ›Du musst ein armer Hund sein, da du bei einem Mongolen Dienst tust. Ich weiß dir eine bessere Stelle. Ein Freund
     von mir wird dir vier Silberbatzen im Monat geben und gutes Essen. Wenn du geschickt bist, wirst du dir allerhand nebenbei
     erwerben, aber du musst verschwiegen sein. Wie denkst du darüber?‹
    Da bedachte Lo-Tjang, dass er seinen Eltern schuldig wäre, mehr Geld zu verdienen, und er sagte: ›Euer Freund kann über mich
     bestimmen.‹
    Am nächsten Morgen ging er mit Grünmantel fort, und mein Vater sagte: ›Hamma-guä!‹ So sind die Chinesen. Für Geld verlassen
     sie ihre Freunde!
    Es war aber nicht so. Lo-Tjang tat, was er als guter Sohn tun musste, und er vergaß auch uns nicht. Schon am Tag darauf sandte
     er geheime Botschaft von dem Schneesturm bei Seestadt und von dem großen Kamelsterben, das über Grünmantels Karawane gekommen
     war. Wir erfuhren, dass unsere verkauften Kamele am Leben waren, und Vater Dogolon ritt nach Seestadt, um mit eigenen Augen
     die toten zu sehen.
    Später, als Grünmantel meinen Vater beim Amban in Kalgan verklagte, und als er nacheinander bewaffnete Büttel des Yamens schickte,
     kam Lo-Tjang immer in der Nacht vorher und warnte uns. Wir schenkten ihm jedes Mal ein Lamm, und Lo-Tjang brachte es dem Wirt
     von den ›Zwei silbernen Schüsselchen‹, der ihm das Pferd zu dem Ritt geliehen hatte. So waren alle zufrieden.
    Wir konnten die Kamele, die Grünmantel haben wollte, weit forttreiben, und meine Mutter blieb allein am Weißen-Stein. Sie
     gab den Yamen-Bütteln ein paar Silberbatzen, damit sie in Kalgan meldeten, dass sie überall gesucht, aber niemand angetroffen
     hätten. So ging es allezeit gut. Aber jetzt geht es nicht mehr. Es muss anders gehen; aber wie das sein wird, weiß der Himmel.
     Es fing an, als ich gestern Abend die Sonne sah, die gelb war. Ich sah die braune Wolke, und meine zwölf Kamele sahen die
     Sonne und die Wolke auch. Sie kamen zu mir, ohne dass ich sie rufen musste, denn sie waren ängstlich und taten alles, damit
     ich ihre Angst begriffe. Sie schüttelten die Köpfe und warfen dabei die Oberlippe hin und her, als ob sie viel Wasser getrunken
     hätten. Sie fraßen auch nicht mehr.
    ›Ihr klugen Kamele‹, sagte ich, ›es

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