Großstadtvampire (German Edition)
Brigitte wichen zurück, heftig hustend wegen des Staubs in ihren Lungen.
Brigitte gefror das Blut in den Adern. "O mein Gott!"
"Ich hatte recht", stammelte Kurt und war sich nicht sicher, ob er sich darüber freuen sollte.
Erschrocken starrten beide auf Igor, der mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen im Kontrabasskoffer lag.
"Lass uns gehen!", Brigitte wollte aus der Wohnung flüchten, doch Kurt hielt sie zurück.
"Nein, noch nicht. Er schläft und solange ein Vampir schläft, ist er nicht gefährlich. Wir untersuchen ihn kurz und dann gehen wir."
"Bist du sicher, dass das 'ne gute Idee ist? Ich habe Angst." Brigitte wollte nur noch raus.
"Nur einen Moment und dann gehen wir." Vorsichtig näherte er sich Igors leblosem Körper und nun übernahm Kurts Forscherdrang. "Sieh nur, der ist wirklich tot. Der atmet nicht." Brigitte wollte zuerst gar nicht hinsehen, aber dann bemerkte sie, dass die Gestalt da im Koffer wirklich tot zu sein schien. Der Brustkorb war ganz still und bewegte sich nicht. Auch sonst wirkte die Gestalt wie ein Leichnam und glich einer Figur aus dem Wachsfigurenkabinett.
"Aber nur ganz kurz." Brigitte fasste wieder ein bisschen Mut.
"Erstaunlich. Sieh nur, der wirkt wie 'ne Plastikpuppe, so gut ist er konserviert." Vorsichtig hielt Kurt seine Hand unter Igors Nase. "Kein Atem. Wahnsinn. Komm her, das musst du dir anschauen!"
"Ich weiß nicht", entgegnete Brigitte.
Doch Kurt hatte ihre Hand ergriffen und zog sie heran. "Unglaublich. Wie nah kommt man sonst einem Vampir?"
"Du meinst, ohne gleich zu sterben?" Brigitte verzog das Gesicht, näherte sich widerstrebend dem Koffer und musterte Igor. "'Ne Schönheit ist er ja nicht gerade", stellte sie nüchtern fest, "und die Koteletten könnte er auch mal wieder schneiden. Wenn du mich fragst, ist der schon seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr vor die Tür gekommen." Ihre Furcht war plötzlich verflogen und irgendwie fand sie den Vampir drollig, so altmodisch und behaart wie er war. Er erinnerte sie an die Ringkämpfer aus den sozialistischen Bruderstaaten ihrer Jugend. Schon damals hatte sie sich mit ihren Freundinnen über diese Sorte Mann lustig gemacht und bei der Vorstellung geschaudert, so einen bei sich im Bett zu haben.
Kurt streckte seinen Zeigefinger aus und wollte Igors Nasenspitze berühren.
"Lass das", unterbrach ihn Brigitte, "sonst wacht er noch auf."
"Ich sagte doch, wenn sie schlafen, sind sie ungefährlich", beschwichtigte sie Kurt.
"Bist du da auch ganz sicher?", hakte Brigitte nach.
"Völlig!", doch diese Antwort kam von Igor.
Kurt entfuhr ein erstickter Schrei und er fiel vor Brigittes Füßen auf den Hosenboden. Die starrte vor Entsetzen wie gelähmt auf Igor.
"Solange man uns schlafen lässt, sind wir ganz ungefährlich. Aber wenn man uns weckt…", fuhr Igor fort und schwebte mit einem Schlag über dem Kontrabasskoffer. Sein ganzes Aussehen hatte sich völlig verändert. Sein Blick war stechend und aus seinem Mund ragten lange spitze Fänge. Mit den ausgestreckten Armen verlieh ihm sein Umhang die Silhouette einer überdimensionierten Fledermaus. Igor hatte sich in einen schreckenerregenden Vampir verwandelt. "…können wir furchtbar böse werden!", donnerte es durch den Raum.
Da gab es für Kurt und Brigitte kein Halten mehr. Kurt war wie der Blitz aufgesprungen und hatte Brigitte an der Hand gepackt. Beide stürmten aus dem Wohnzimmer und schon waren sie aus der Wohnung verschwunden. In ihrer Eile kümmerten sie sich nicht darum, die Wohnungstür zu schließen.
Igor machte eine Bewegung mit der Hand und die Tür schloss sich wie von selbst. Langsam sank er auf den Boden zurück und hatte sich, noch ehe seine Füße den Boden berührten, wieder in seinen Normalzustand zurückverwandelt. Dabei lachte er vor sich hin und schien sich köstlich zu amüsieren. "Können wir furchtbar böse werden", äffte er sich selber nach und musste gleich im Anschluss gähnen. "Viel zu früh für mich. Muss noch ein bisschen schlafen."
Igor war gerade dabei, in seinem Koffer zu steigen, als es an der Tür klopfte. "Was? Haben die noch immer nicht genug?", wunderte er sich. Doch da klopfte es erneut und diesmal eindringlicher. Na ja, wenn sie es nicht anders wollen, dachte er sich und ging zur Wohnungstür. Er baute sich davor auf, um aufs Neue eine furchterregende Pose anzunehmen. Als es ein weiteres Mal klopfte, riss er die Tür mit einem gewaltigen Schwung auf und brüllte "BUHAHAHAHA" hinaus.
Da war niemand.
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