Grote, P
Polizei hatte eine angefahrene Frau sterben lassen, weil sie angeblich Befehl hatte, sich nicht von der Stelle zu rühren.
»Bei unserer Polizei und den Geheimdiensten werden alte Denkmuster auf Knopfdruck reaktiviert. Sehen Sie sich vor«, hatte Teubner gewarnt.
Willkommen in der Europäischen Union, dachte Martin.
»Wir wollen von Ihnen eine Erklärung, wie Sie in den Besitz dieser Unterlagen gekommen sind.« Der Chef des Sondereinsatzkommandos, der es nicht nötig hatte, sich mit Namen vorzustellen oder seine Dienststelle zu nennen, hielt einen Packen Dokumente in der Hand, oben drauf Papiere mit dem Regierungsemblem, mit der anderen rieb er sich das Gesicht. Seine Kettenhunde sahen Martin lauernd an, es hätte ihnen gefallen, die Nummer auf dem Teppich zu wiederholen.
»Bei Ihnen weiß die rechte Hand anscheinend nicht, was die linke tut.« Martin staunte über seine eigene Frechheit, denn die Situation gefiel ihm überhaupt nicht, gleichzeitig empfand er sie als zu absurd und grotesk, als dass sich Angst einstellen wollte. Das Geschehen ließ sich kaum ernst nehmen. Es ist lächerlich, irgendwie sind es Zuckungen eines sterbenden Regimes, dachte er, und ihm war, als stünde ein anderer an seiner Stelle hier – er dachte an Coulange. Wahrscheinlich hat der Feigling gewusst, was auf mich zukommt, und sich derartige Aufführungen ersparen wollen.
»Die Unterlagen habe ich von Sofia Rachiteanu.«
»Das werden wir prüfen.«
»Das wird kaum möglich sein. Sie ist tot!« Martin merkte, dass alle verblüfft innehielten. Vielleicht habt ihr sie umgebracht,hatte er anfügen wollen, schluckte es aber rechtzeitig herunter.
»Das werden wir prüfen«, wiederholte der Chef. »Ich kann nicht glauben, dass derartige Dokumente offiziell an Fremde weitergegeben werden.«
»Hier sind doch alle fremd«, hörte Martin sich sagen und blickte den Amerikaner erleichtert an, der ins Zimmer getreten war, »nicht wahr, Mister Simion?«
Der Angesprochene grinste, der Chef blies sich wichtigtuerisch auf. »Ach, Sie sind das«, meinte er, »unser Zeuge. Darf ich um Ihren Pass bitten? Und Ihren will ich auch, Mister Bongers. Dann schreiben Sie mir auf, wo Sie sich demnächst aufhalten werden, alle Termine will ich haben.«
»In dem Stapel in Ihrer Hand finden Sie meinen Reiseplan – oder Sie fragen am besten Tudor Dragos, der wird es genau wissen.« Martin dachte daran, dass er Sofia von seinen Reisezielen erzählt hatte, demnach würde es auch ihr Chef über die Abhöranlage mitbekommen haben. »Sicher ist alles protokolliert. Nun sagen Sie mir doch endlich, von welchem Verein Sie sind. Politische Polizei, Steuerfahndung, Antikorruptionsbehörde oder Mordkommission . . .«
Der Chef stutzte. »Mordkommission? Sie haben eben von einer Toten gesprochen. Was wollen Sie damit sagen? Woher wissen Sie . . .?«
»Sofia Rachiteanu – es ist möglich, dass Sie die Frau kennen . . .«
»Woher wissen Sie von ihrem Tod?«, fuhr ihn der Chef an, und auch Simion reckte den Kopf.
Bin ich nur von Idioten umgeben?, fragte sich Martin und sah wieder zu Simion hin. Der hatte eine Entschuldigung, er konnte nichts wissen. Der Amerikaner setzte sich auf die Lehne eines Sessels, schlug lässig die Beine übereinander und zog den blauseidenen Morgenrock über die Knie. Er sah der absurden Aufführung mit distanzierter Gelassenheit zu.
Über die wahren Gründe des nächtlichen Überfalles nachzudenken, verbot Martin sich einstweilen, die Situation erforderte seine Aufmerksamkeit, und er reichte dem Chef den Personalausweis. »Wie ich vermute, haben Sie längst in alles Einblick genommen. Die Liste mit den Besuchsterminen können Sie sich auch vom Weinbauverband holen, das scheinen mir die einzig vernünftigen Leute hier zu sein. Aber ich glaube, Sie haben den Reiseplan bereits.«
»Wir waren hier keinen Augenblick allein, das machen wir nicht, der Hotelangestellte war dabei. Wir halten uns an Recht und Gesetz, verstehen Sie?«
»Natürlich . . .«
»Jetzt verraten Sie mir, was das Theater sollte.« Simion saß wieder auf der Lehne, die Agenten des Ministeriums oder Geheimpolizisten waren abgezogen, sie hatten einige Dokumente, die Martin in Bukarest erhalten und sich besorgt hatte, beschlagnahmt. Es war eine Katastrophe und gleichzeitig zu lächerlich. Martin war froh, dass er seine täglichen Berichte per E-Mail abgefasst und die wichtigsten Unterlagen gescannt und nachgeschickt hatte. Das Laptop hatte niemanden interessiert. Merkwürdig. Und
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