Grote, P
überall in Fettnäpfchen zu treten. Die Frage, ob dem Traktoristen das kapitalistische Leben besser gefiel als das sozialistische, hatte Martin sich ebenfalls verkniffen, was hätte der arme Mann in Anwesenheit seines Chefs antworten sollen?
Alexandru Garbors Missgeschick zeigte Martin, dass er den Boden und seine Eigenheiten nicht gut kannte. Er machte sowieso mehr den Eindruck eines Geschäftsmanns als den eines Winzers, obwohl es sich hier um eine Kellerei handelte und nicht um eine Weinfabrik. Dass sich die Erdederartig mit Wasser vollsog, zeigte ihren hohen Lehmanteil, der Wein würde entsprechend ausfallen. Demnach wieder nichts Filigranes, kein Hinweis auf einen Zodiac oder Ähnliches. Aber Alexandru Garbor präsentierte einen erstaunlich guten Cabernet Sauvignon aus dem Jahr 2006, ein großartiger Jungwein, wie Martin ihn selten zuvor getrunken hatte. Er war begeistert und erstaunt, dass ein Gewächs auf diesem Boden eine derartige Qualität erreichen konnte. Wenn er selbst mit seinen neuen Reben ein solches Ergebnis erzielen konnte, zumindest in den ersten Jahren, wäre er zufrieden. Der Cabernet bewies ihm, welche Ergebnisse auch hier bei entsprechender Sorgfalt möglich waren.
Der Wein war glatt und rund, weder in der Nase noch am Gaumen störte etwas, das weiche, süße Tannin der Trauben war perfekt eingebunden. Das bedeutete, dass die Trauben sehr sorgfältig und nicht zu stark gepresst worden waren. Der Cabernet wies auch das für die Rebsorte typische Aroma von Schwarzer Johannisbeere auf. Martin konnte gar nicht davon lassen. Der in der Probe folgende Merlot fiel deutlich ab. Er war zu hell, wie alle rumänischen Merlots bisher, er war im rotierenden Gärtank fermentiert. Der Wein war nicht schlecht, er zeigte auch Frucht, leider gab es wenig riechbare Aromen, nur mit Mühe roch Martin die typische Kirsche und Pflaume heraus.
Brombeere, Pflaume und Rauch waren es beim Fetească Neagră, Garbors Variante der heimischen Rebe. Und es gab noch ein neues, unbekanntes Aroma von Hölzern, das der Winzer den Hefen zuschrieb, die vom umliegenden Wald herübergeweht waren.
Über den Verlauf der Gärung waren Martin und er uneins. Martin vergor seine Trauben bei bis zu 30 Grad über den Zeitraum von mindestens drei Wochen. Alexandru Garbor reichten vier bis sechs Tage bei höchstens sechzehn Grad, denn bei längerer Gärung verlor sein Wein angeblich an Frucht. Um zu beurteilen, ob es sich wirklich so verhielt,hätte Martin dabei sein müssen, es war auch möglich, dass einheimische Rebsorten so anders reagierten – was er sich schlecht vorstellen konnte.
Der Rosé aus der Traube Busuioacă de Bohotin war ihm zu süß, nicht durchgegoren, der italienische Riesling nicht sehr aromatisch und ein wenig stumpf. Da ließ er sich lieber noch einmal das Glas mit dem wunderbaren Cabernet füllen. Alexandru Garbor brachte ihn zurück zu seinem Wagen nach Iaşi. Er flog fast über die Straßen und jagte dabei Hühner und Menschen von der Fahrbahn. Und wie der Taxifahrer zuvor führte ihn Alexandru Garbor an den Stadtrand. Von Iaşi, angeblich wie einst Rom auf sieben Hügeln gebaut, hatte Martin weder die sieben Hügel noch die Sehenswürdigkeiten bis auf die Universität bemerkt. Im Laden für Mobiltelefone neben der Tankstelle kaufte er das billigste, und im Gerede über das Woher und Wohin vergaß der Verkäufer, Martins Namen zu registrieren.
Unterwegs zurück zum Hotel ließ Martin die Begegnungen des Tages Revue passieren. Miriam war am eindrucksvollsten gewesen, sie war sowohl Sofia wie auch Lucien und Teubner ähnlich. Es war nicht verwunderlich, sie gehörten allesamt zur rumänischen
Inteligent¸a.
Diese Menschen sahen mit offenen Augen, auf welche Untiefen ihr Land zusteuerte und wer am Ruder stand. Sie waren sich einig, dass Wirtschaftswachstum nichts mit Wohlstand zu tun hatte, dass man Zahlen nicht essen konnte. Bevor europäisches Niveau erreicht war, ging es für die Mehrheit bereits wieder abwärts. Martin versuchte, sich an die Debatten nach der Wende in Deutschland zu erinnern, er hatte damals in Frankfurt gelebt, sich zwar nicht sonderlich dafür interessiert, aber man hatte vieles nebenbei mitbekommen. Trotzdem hatte er sich geweigert, ein Urteil abzugeben, und das war richtig gewesen, denn was »der Osten« oder »sozialistische Länder« bedeutet hatten, davon bekam er erst hier eine Ahnung, nichts weiter. Dieses Land war entsetzlich weit vonden anderen der Europäischen Union entfernt.
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