Grounded (German Edition)
dass ich das Gefühl hatte, es würde meine Organe in sich hineinsaugen und verschlingen. Es war, als würde sich mein Körper von außen nach innen umstülpen. Ich musste das Telefonat beenden, aufhören zu sprechen. Aufhören zu denken.
„Okay, dann schlaf schön. Und gib Ell einen Kuss von mir. Ich ruf morgen wieder an.“
„Ja. Danke. Du auch. Schlaf gut.“
Ich legte auf. Dann zog ich, langsam und wie in Trance, das Telefonkabel aus der Buchse.
*
Die Musik dröhnte nach wie vor in trommelfellreizender Lautstärke aus Ells Zimmer, als ich einen Abstecher in die Küche machte. Ich erinnerte mich richtig, es war noch eine halbe Flasche Cognac im Haus. Besser ich vernichtete sie, als dass meine Schwester sie in die Finger bekam. Sehr gute Idee. Ich war der Erwachsene und hatte eine Aufsichtspflicht, und zu der gehörte es auch, den Zugang zu Rauschmitteln zu unterbinden. Also, weg mit dem Zeug.
In der Vitrine im Wohnzimmer fand ich ein bauchiges, klassisches Cognacglas. Ich konnte mir nicht erklären, warum wir so etwas eigentlich besaßen, weder Mum noch Dad hatten jemals großen Wert auf einen stilechten Genuss von Alkohol gelegt. Überhaupt hatte ich keinen von beiden je großartig trinken sehen.
Andererseits, vielleicht war es mir auch ei nfach nur nie aufgefallen. Oder aber sie hatten getrunken, wenn wir Kinder im Bett waren. Ich zwang mich, diesen müßigen Gedanken abzuschütteln und nahm das Glas und die Flasche mit ins Badezimmer, wo ich mich einschloss und in die Badewanne legte. Das Wasser war wahnsinnig heiß, aber genau so wollte ich es haben.
Während ich die Fliesen anstarrte und ab und an versuchte, sie zu zählen, regelmäßig aber bei einer Zahl um die vierzig die Geduld verlor, leerte ich schluckweise das Glas, welches ich immer wieder nachfüllte.
Der Cognac brannte scharf auf meiner Zunge und hinterließ einen öligen Nachgeschmack im Mund.
Gleichzeitig meinte ich, Süße herauszuschm ecken. Alles in Allem fand ich das Zeug widerlich und ekelte mich vor jedem weiteren Schluck, aber ich trank trotzdem weiter. Ich hatte mir vorgenommen mich zu betrinken, und genau das würde ich jetzt auch tun, komme, was wolle. Und wenn das Gesöff ekelhaft war, umso besser.
Das gehörte eben dazu, man betrank sich schließlich nicht mit Apfelsaft.
Irgendwann war das Badewasser kalt, die Fl asche geleert und ich deutlich benebelt. Besser fühlte ich mich trotzdem nicht. Ich hievte mich aus der Wanne, ignorierte das prompt auftretende Schwindelgefühl so gut wie möglich und trocknete mich grobmotorisch ab.
Dann schwankte ich in mein Zimmer, wo ich mich auf mein Bett warf und genoss, wie die ganze Welt in übelkeiterregender Geschwindigkeit vor meinen Augen rotierte.
Müdigkeit machte sich in all meinen Gliedern breit, gleichzeitig wagte ich es nicht, die Augen länger als nötig zu schließen, denn dann wurde mir umstandslos gefährlich schlecht. Hatte ich es übertrieben? Es war meine Absicht gewesen, betrunken zu sein, nicht reihernd über der Kloschüssel zu hängen. Ich durfte mich nicht zu sehr in diesen Strudel aus Übelkeit hineinziehen lassen. Ablenken, ich musste mich ablenken. Eins, zwei, drei, vier. In meinem Kopf begann ich zu zählen. Es half nicht, es war zu einfach, beanspruchte zu wenig meiner mentalen Kapazitäten.
Auf Englisch. One, two, three. Ebenfalls zu einfach. Französisch? Spanisch? Ich begann, gedanklich auf Spanisch zu zählen, aber es half immer noch nicht; mir war schlecht. Sehr schlecht.
Irgendwie bewerkstelligte ich es trotzdem, meinen Mageninhalt bei mir zu behalten. Einige Zeit später, das imaginäre Karussell, auf dem ich mitfuhr, war inzwischen langsamer geworden, schob Ell sich durch die Tür ins Zimmer. Sie kroch zu mir ins Bett, unter die Decke, und schmiegte sich in meine Armbeuge.
„Ich hab den Telefonstecker gezogen“, info rmierte ich sie. Einen Moment lang dachte ich darüber nach, dass meine Alkohol-Fahne, die ich ihr um die Ohren blies, keinen besonders guten Start in mein Dasein als verantwortungsbewusster und vorbildlicher Erwachsener darstellte. Aber – zumindest jetzt in der Anfangsphase würde man mir einen Fehltritt ja wohl noch nachsehen können, oder?
„Ach, und schöne Grüße von Nathalie.“ Ich spürte, wie Ell nickte. Dann sagten wir lange Zeit nichts mehr.
Draußen wurde es nach und nach dunkler. Ich starrte schweigend an die Decke und Ell auf ihre Hand, die auf meiner Brust lag.
„Wusstest du, dass ich ursprünglich
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