Gruber Geht
nach. Gruber denkt auch nach, nämlich über etwas Gemütliches, Schummriges, weniger Kaffeehausiges, und ohne solche Scheißmusik. «Wir könnten zum Beispiel in die Kronenhalle-Bar hinüberschauen», sagt Gruber, «obwohl.» Er erinnert sich da an etwas.
«Obwohl was?», sagt Sarah mit komischem Blick. Vorsichtig wirkt sie jetzt, auf Rückzug wenn nötig, mit schlagartigem Sicherheitsabstand. Gruber will nicht, dass sie so schaut. Und dass sie vielleicht denkt, er wolle nun doch nicht mit ihr ... also was auch immer, er kann jetzt im Moment nicht so genau sagen, was genau er mit ihr will. Aber er will.
«Obwohl ich aus der Kronenhalle, glaub ich, letztens hinausbegleitet wurde. Wie soll ich sagen, sehr nachdrücklich hinausbegleitet wurde. Sehr gegen meinen Willen.»
Die Nachmittagssonne wirft durchs schmale Fenster einen Streifen auf seinen Tisch.
«Oh», sagt Sarah und schaut jetzt anders, viel besser. «Aus dem Restaurant?»
«Aus dem Restaurant, ja.»
«Was haben Sie angestellt?»
«Sie werden das jetzt platt finden, aber ... lange Geschichte.»
«Und war das vor oder nach der Schlägerei?»
«Kurz davor», sagt Gruber.
«Na, dann erkennen die Sie jetzt mit dem blauen Auge eh nicht mehr. Und außerdem arbeiten in der Bar andere Leute als im Restaurant. Glaub ich jedenfalls.» Aha. Sie will. Gut.
Gruber winkt der Kellnerin und bittet um die Rechnung. Sarah gräbt in ihrer Tasche. «Ich mach das», sagt Gruber.
«Ich hatte aber ein Frühstück», meint Sarah und grinst schon wieder, «und dreimal frischgepressten Orangensaft, und Zigaretten auch noch.»
«Ich. Mach. Das.», sagt Gruber.
Die Kronenhalle-Bar ist nicht leer. Rechts neben der Tür sitzen zwei Anzüge und unterbrechen ihr Gespräch, als Gruber sich etwas zu genau im Lokal umsieht. Als er die Bar beäugt, ob da wer ist, der am Mittwoch schon da war und ihn erkennen könnte. Aber im Moment ist so jemand nicht zu sehen. Gruber zeigt auf den Tisch links neben der Tür, Sarah nickt und schiebt sich hinter das Marmortischchen auf die Bank. Sie ist groß, das hat er auf dem Weg vom Limmatquai her festgestellt: Wenn sie mit ihm spricht, ist sie fast auf Augenhöhe. Sie ist vielleicht, hm, vierunddreißig oder fünfunddreißig oder so, bei Frauen, die in der Nacht arbeiten, kann man das ja nicht genau sagen. Sie war in großen Schritten gelaufen, trotz der Absätze. Keine Tripplerin. Jetzt zieht sie an ihrem Shirt und wirft ein Bein über das andere, kann so aber nicht richtig sitzen, der Tisch ist zu niedrig, also zwängt sie die verknoteten Beine neben den Tisch und sitzt nun ein bisschen verdreht da. Gruber sieht ihr dabei zu. Gefällt ihm. Gruber gefällt auch, dass sie ein wenig nervös wirkt. Sie könnte einen Haarschnitt vertragen, denkt Gruber, und dass das im Moment aber eine untergeordnete Rolle spielt. Ein Kellner erscheint; ein junger Schlaks, kommt ihm nicht bekannt vor.
Sie trinken Bier und Weißwein und Wasser und essen Nüsse, die der Kellner jetzt schon zum dritten Mal hingestellt hat. Der an Grubers Visage offenbar nichts auszusetzen findet, was Gruber jetzt doch erleichtert. Er hatte sie zwar gewarnt, sie wusste von der unschönen Möglichkeit und hatte ja doch vorgeschlagen, das Risiko einzugehen, aber es hätte wohl trotzdem keine besonders zielführenden Vibes erzeugt, wenn man sie des Lokals verwiesen hätte. Vor allem, weil Gruber, so gut kennt er sich mittlerweile, sich das kaum widerstandslos gefallen hätte lassen. Ist er eine Lusche? Ist er nicht, nein; aber jetzt ist er doch erleichtert, dass er das nicht beweisen muss. Manche Frauen reagieren ja auf derlei eher unrund und Gruber will auf keinen Fall eine unrunde Sarah, er will eine runde, wohlgesonnene, für vielerlei offene Sarah, denn Gruber will, wie er mittlerweile mit Sicherheit weiß, mit ihr ins Bett, und im Moment sieht das alles ganz gut aus. Vielleicht, weil sie noch nichts davon weiß. Obwohl. Die, denkt Gruber, als er ihr beim Reden zusieht und einen Schluck von seinem Bier nimmt, die weiß das.
Sarah redet. Sie fragt. Sie erzählt von sich. Dass sie in Berlin lebt, hat er schon auf dem Weg in die Bar herausgefunden. Er dachte München, wegen diesem bayrischen Akzent. Diesen Akzent hat sie, wie Gruber jetzt erfährt, aus einem Dorf in der Nähe des Starnberger Sees, in dem sie aufgewachsen ist, aber sie lebt schon lange in Berlin. Sie war für einen Auflegjob in Wien gewesen, war wohl öfter, wenn auch nicht mehr ganz so oft wie früher, für Jobs in
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