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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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heraufzog. Er traf auf eine Handvoll Autos aus der Gegenrichtung, ein, zwei Camper, aber es war keine vielbefahrene Straße, nicht mal in der besten Saison – also jetzt. Im Winter, wenn es erst geschneit hatte, war die Straße gesperrt, verweht, zugefroren, verschüttet und dicht, und Boynton war dann wie ein Schiff auf See ohne Land in Sicht. Wer rauswollte, der flog. In einem Buschflugzeug, dem die Lackierung fehlte, weil der Lack das Gesamtgewicht um unnötige sechs Kilo erhöht hätte. Man flog also, außer wenn die Temperatur auf unter minus vierzig Grad fiel, das war der Punkt, an dem Treibstoffleitungen zum Zufrieren neigten, und wenn die Motoren keinen Sprit bekamen, holte es einen vom Himmel wie einen Felsblock mit Tragflächen. Aber so war das Leben im Busch, und in Sess’ Augen war es ein geringer Preis für das, was man dafür bekam.
    Als er Fairbanks erreichte, staunte er über den dichten Verkehr: zwei Fahrzeuge links von ihm, drei an einer roten Ampel, Pickups, die in Parkplätze einbogen oder aus ihnen hervorschossen, als wären sie am Start der Rennstrecke von Indianapolis, Frauen, Kinder, Radfahrer, Hunde. Er schärfte sich ein, gut aufzupassen, denn er war das Autofahren nicht gewohnt und mochte es auch nicht allzusehr – im Grunde hegte er ein ordentliches Mißtrauen gegen Menschen, die gern am Steuer saßen.
    Außerdem war er betrunken, jedenfalls restalkoholisiert, denn er ging davon aus, daß die Wirkung von dem, was er sich im Roadhouse reingeschüttet hatte, während der Fahrt verflogen war, auch wegen des Schinken-Käse-Sandwiches, das ihm Lynette mit der ganzen Sorgfalt einer Imbißveteranin zubereitet hatte. Die Stadt streckte die Klauen nach ihm aus. Die Ampeln machten ihn ganz hippelig. Aber er wußte genau, wohin er wollte, und es hatte sich für ihn nichts – gar nichts – verändert, seit er zum letztenmal hiergewesen war, im September des Vorjahrs.
    Sie erwartete ihn an einem Tisch auf der Terrasse eines Restaurants am Flußufer, dem nettesten Laden der ganzen Stadt, und es war angenehm, draußen sitzen zu können und die Sonne und die Aussicht zu genießen. Er sah sie, bevor sie ihn sah, und hielt einen Moment lang inne, um sich zu sammeln. Im Profil, gegen den Fluß und die Wucht des Sonnenlichts auf dem Wasser, wirkte sie wie eine Traumgestalt. Ihre nackten Beine und Arme schimmerten, das Haar glänzte. Sie trug Khakishorts, Wanderschuhe und dicke graue Socken, die sie heruntergerollt hatte, und ein rosa T-Shirt, das drei Größen zu klein war und sich eng an ihre Brust schmiegte. Sie hieß Pamela, und er hatte sich schon zweimal mit ihr getroffen, was ihn aber kein bißchen weniger nervös werden ließ. Er steckte sich das Hemd in die Hose und strich sich das Haar mit zwei spuckefeuchten Fingern glatt, dann trat er auf die Terrasse hinaus.
    In diesem Augenblick, genau als seine Stiefel das Holzdeck berührten, wandte sie den Kopf, um eine Mücke auf ihrem Oberarm totzuschlagen, und entdeckte ihn. Eine blitzschnelle Verwunderung flackerte in ihrer Miene auf, als hätte sie ihn nicht erwartet oder schon wieder vergessen, sogar sein Aussehen, doch dann war sie auf den Beinen, und er war bei ihr, und sie brachten die etwas verlegene Begrüßungszeremonie zwischen Mann und Frau hinter sich, mit gebremster Umarmung und einer Berührung Wange an Wange, wozu sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn zu sich herunterzog. »Setz dich doch«, sagte sie und ließ ihre perfekten weißen Zähne aufblitzen, die Zähne einer Mundhygienikerin oder einer Stripperin, Zähne, die zugleich Hallo! und Nimm dich in acht! besagten, »setz dich zu mir, Sess, und sei nicht so verlegen. Meine Güte«, sagte sie und stieß ein Lachen aus, »du bist ja wie ein kleiner Junge, der sich auf dem Spielplatz verirrt hat.«
    Er zwängte sich in den Stuhl ihr gegenüber und murmelte etwas wie »Schön, dich zu sehen, Pam«, doch noch bevor die Worte heraus waren, verbesserte sie ihn schon: »Pamela«, sagte sie und lächelte immer noch, lächelte so unentwegt, so beharrlich, so strahlend, daß er sich ein wenig vor ihr zu fürchten begann. Stimmte irgend etwas an dieser Szene nicht? Oder war sie ebenso nervös wie er? So oder so – sie war schön. Verdammt, sie war wunderschön. Und welches Blockhaus im Busch draußen konnte eine Verzierung wie sie nicht gebrauchen, die makellosen Zähne und all das?
    Die Kellnerin rettete ihn. Sie trat heran, kurzes Röckchen, zwei Brüste und ein Gesicht, so schwebte

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