Grün war die Hoffnung
ein kurzes Nickerchen, sonst nix« –, und Pris hielt Audienz für drei besoffene Naturburschen, die sich die Haut hätten abziehen lassen, um sie nur zu berühren, während die Band auf eine einsame Geige reduziert war, die an den melancholischen Überresten einer klassischen Ausbildung herumschabte. Die Stunde war gekommen. Pamela drückte ihrem Mann die Hand und spürte das Blut in ihren Adern brausen. »Sess«, sagte sie, und es klang in den eigenen Ohren seltsam zur Melodie der Violine – die traurigste Weise, die sie je gehört hatte, von wem war das eigentlich, Borodin? Schostakowitsch? Irgend so etwas. »Sess«, sagte sie, »meinst du nicht, es wäre Zeit, daß Braut und Bräutigam allmählich ...«
»Ins Bett gehen?«
Sie saßen auf der hinteren Veranda des Hauses, das Richard Schrader ihnen für diese Nacht großzügig überlassen hatte. Moskitos umsurrten ihre Gesichter und prallten leise von Lippen und Augenlidern ab. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt Jeans und ein langärmliges Sweatshirt mit Kapuze, aber sie war sich ihrer Unterwäsche bewußt, die sie in Anchorage mit Pris ausgesucht hatte, ein spitzenbesetzter Satinslip und ein BH, der ihre Brüste umfing wie die gespreizten Finger eines Mannes. Er beugte sich dicht zu ihr und gab ihr einen Kuß, federleicht und süß, und endlich, endlich war er frei von seiner hölzernen Wut, und sie murmelte: »Ja, ins Bett.«
In diesem Moment nahm sie das Dröhnen eines Außenborders wahr, beide hörten sie das Motorboot, das im schrägen Licht der Zehn-Uhr-abends-Sonne den Fluß hinaufgedonnert kam, immer näher, und dann sahen sie das Glitzern des brodelnden Kielwassers und, bärtig und dunkelhaarig, das Gesicht von Joe Bosky am Ruder. Joe Bosky, zurück für einen letzten Schlag. Sess erhob sich auf der Veranda, gerade als der Bug des Bootes sich aus der Strömung hob und auf das Ufer zuraste. »Hey, Sess Harder, ich scheiß auf dich!« brüllte Bosky durch das Motorengeräusch und drückte noch mehr auf die Tube. »Ich scheiß auf dich, und auf dein Sackgesicht von Frau scheiß ich auch!« Dann drehte der Bug ab, das Boot schoß vorbei und war verschwunden.
Richard hatte ihnen zwei Kerzen mit Vanilleduft dagelassen, eine auf jeder Seite des Bettes – die dünnen, bleichen Dinger ragten phallisch aus den passenden Keramikschalen auf, die seine Exfrau getöpfert und gebrannt hatte. Das Blockhaus hatte vier Räume, von denen Richard im Winter zwei nicht nutzte, es hatte in der Küche einen Ausguß mit Handpumpe für fließendes Wasser, es hatte ein Bad und sogar ein Klo mit Spülung, die normalerweise funktionierte, zumindest in der warmen Jahreszeit. Wie in den meisten Hütten und Blockhäusern von Boynton hatte man ästhetische Erwägungen dem Diktat der Praxis geopfert, und in allen vier Räumen waren die Wände vom Boden bis zur Decke mit plattgedrückten Pappkartons bedeckt – Jungerbsen 2. Wahl, Rainier Pale Ale, Charmin-Toilettenpapier –, quasi als letzte Verteidigungslinie gegen den Wind, der im eisigen Winter aus seinen polaren Höhlen heranfegte. Das Schlafzimmer war als eine Art Podest angelegt, vier Stufen höher als der Wohnraum, ausgestattet mit einem Ashley-Holzofen, dem Spitzenmodell, auf dem Richards Ex bestanden hatte. In dieser Nacht aber brauchten sie keinen Ofen. Es war so warm wie im Innern einer palmgedeckten Hütte an einem Strand auf den Bahamas.
Sie setzte sich aufs Bett und öffnete ihr Haar. Sie hatte die Kerzen angezündet und den Plastikbecher mit dem lauwarmen Champagner weggestellt – er schmeckte hinten in der Kehle nur noch nach Saccharin, und sie brauchte keinen mehr. Im Haus war alles still. Die Sonne hielt sich. Sie hörte ihren eigenen Atem, das Pochen und Sausen des Bluts, das durch ihre Adern brauste. Nach kurzer Zeit stand sie auf und ließ die Jalousien vor den beiden Fensterschlitzen herab.
Sess war im vorderen Zimmer mit irgend etwas beschäftigt, seine Schulter waren so eckig und verspannt, daß man hätte meinen können, ihm wären alle Halswirbel verschmolzen. Etwas klapperte, fiel zu Boden. Er kämpfte um seine Beherrschung, das spürte sie, aber Joe Bosky hatte ihm den Tag, den Augenblick, die bevorstehende Nacht vergiftet, und sie wußte nicht, was sie sagen oder wie sie die Lage entschärfen konnte. In ihrer Reisetasche lag ein Taschenbuch, das ihre Mutter ihr mitgegeben hatte: Ratgeber für die Braut: 100 Fragen und Antworten für Ihre Hochzeitsnacht , aber nichts auf den dreihundert Seiten
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