Grün war die Hoffnung
heimfliegen?«
»Das hab ich nicht gesagt. Ich meinte, wir könnten mal in Boynton fragen. Oder in Fairbanks.«
In ihm lagen alle möglichen Gefühle im Streit: Liebe, Haß, Kummer und Leid. »Hör zu«, sagte er, »lassen wir das jetzt.«
Was tat er statt dessen? Er trank zuviel. In ihrer ersten Nacht, als seine Frau in seinem handgefertigten Blockhaus am Ende der Welt, in der sie doch ebenso verwirrt und desorientiert und voller Zweifel sein mußte wie jede Braut, die je ins kalte Wasser gesprungen war und sich plötzlich an einem fremden Ort mit einem Mann wiederfand, der sich von Minute zu Minute als seltsamer entpuppte, trank er ihren Hochzeitswein plus zwei Krüge Bier, und außerdem bestand er darauf, seine Flasche mit Hudson-Bay-Rum, 78 Prozent, hervorzukramen und einen brennenden Becher nach dem anderen zu leeren, bis die Sonne hinter den Hügeln versank. Anfangs hielt sie mit, Becher für Becher, Drink für Drink – Pamela war eine gute Trinkerin, echtes Stehvermögen, in jeder Hinsicht ausdauernd –, aber irgendwann verlor ihr Blick an Schärfe, und dann redete nur noch er.
»Willst du was übers Fallenstellen wissen?« fragte er und hielt ihr einen Vortrag, ob sie ihn hören wollte oder nicht. »Ich erzähl dir was vom Fallenstellen.«
Und er erzählte ihr was. Erzählte ihr von Roy Senders Arbeit, der einen fünfundsechzig Kilometer langen Pfad durch die unwegsame Ödnis an einem Ufer des Thirtymile gelegt hatte, jeden Zufluß ein Stück weit verfolgend, und dann am anderen Ufer wieder zurück, ein neun Tage dauernder Rundkurs, bei so bitterkaltem Frost gebahnt, daß es jeden umgebracht hätte, der nicht gerade übermenschliche Fähigkeiten besaß, und Roy Sender war diese Strecke immerhin bis zum Alter von Einundsiebzig regelmäßig abgegangen. Roy hatte ihn damals unter seine Fittiche genommen, hatte ihm gezeigt, wie man die Fallen für die verschiedenen Tiere präparierte, wie man einen Schlitten aus Birkenholz von fast drei Meter Länge, aber kaum breiter als die eigenen Schultern, baute, wie man Luchsen, Füchsen und Hermelinen den Pelz abzog und wahre Stinkbomben von Ködern zurechtmachte, die jedes Raubtier im ganzen Land neugierig schnuppern und die Ohren aufstellen ließen. Roy war Junggeselle – ein Sonderling, unberechenbar wie ein alter Ford, der nur auf vier Zylindern lief –, und er hatte ihn auf jedem Schritt des Wegs angeschnauzt und beschimpft, ein Mann, mit dem nie eine Frau ihre Zeit hatte vergeuden wollen, und er lebte wirklich wie ein alter Kauz, igelte sich den ganzen Winter in seinem Blockhaus ein und verbrachte die Zeit damit, seine Sachen zu ordnen und den Wohnraum so behaglich und ordentlich herzurichten wie in einer gemütlichen Salonkajüte auf einer Segelyacht voller blankpoliertem Edelholz. Und Sess hatte zu Füßen dieses kauzigsten aller Käuze gesessen, froh über seine grantige Gegenwart, und während die Monate über den Horizont davonschwebten und sie irgendwann in Jahreszeiten und dann in Jahren zählten, war der alte Mann mit ihm warm geworden.
»Wieso baust du dir nicht was da unten an der Mündung des Flusses?« hatte er in einer Frühlingsnacht gefragt, in der der Schnee herunterkam wie Konfetti und Sess hinter dem Haus in einem Zelt campierte. »Gibt doch genug Platz für dich, die Schneehasen kommen gerade in ihre große Zeit, wie alle zehn Jahre, also gibt’s genug Pelze für jeden, wenn überhaupt noch wer welche haben will. Teufel noch mal, ich muß dir ja nicht erzählen, daß ich nicht mehr ganz der alte bin, kannst du mir folgen? Ich hab schlimme Knie, Rückenweh, und meine Lunge fühlt sich dauernd an, als wenn ich gleich ertrinke, Scheiße noch mal – ist eben der Preis des Altwerdens. Und dann denke ich an die viele harte Arbeit, die ich in dieses Land reingesteckt hab, und wär doch schade, wenn das alles umsonst war.«
Das war Roy Sender, sein großer Segen. Und jetzt an ihn zu denken, hier in dem Blockhaus, das aus jener beiläufigen Aufforderung damals in der Schneenacht entstanden war – hier mit seiner Frau, mit Pamela –, das erfüllte ihn mit einer so glasklaren Emotion, daß er nach Atem ringen mußte. Auf einmal wurde er sentimental, seine Seele war halbvoll mit Kummer und halbvoll mit Glück. Auf einmal war er besoffen.
Pamela war dicht bei ihm, saß am Tisch und hielt das Kinn auf zwei Fäuste gestützt, und auch ihr Blick glitt langsam ins Leere. Etwas raschelte im Gebüsch draußen im Garten, und die Hunde waren es nicht
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