Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
zurückkehrte, zu Toby oder zu Tobys Mutter in New York, die sie jeden Sommer für ein paar Wochen besuchte, sofern Toby daran dachte, ein Flugticket zu besorgen. Sie hatte sich bereits zum Haus gewandt, als sie sich noch einmal umdrehte. Der Hund sah erwartungsvoll zu ihr auf, Anise kaute ihr Sandwich und musterte sie argwöhnisch. »Und wenn du Hackfleisch aus ihnen machst«, sagte sie, während der Regen von der breiten Krempe des Sombreros tropfte, »dann tu mir den Gefallen und rupf ihnen vorher alle Federn aus.«
    An der Tür kam ihr Francisco entgegen. Er trug einen schweren Lederponcho über dem dicken Arbeitshemd und hatte eine ausgebleichte Baseballmütze aufgesetzt, auf der in einst gelben Buchstaben Trojan stand, ein Wort, bei dessen Anblick sie jedesmal an die Kondome dachte, die sie und Toby immer benutzt hatten, selbst wenn sie beide geglaubt hatten, sie müssten vor Verlangen schier platzen, die sie aber nicht davor bewahrt hatten, zum ungünstigsten Zeitpunkt schwanger zu werden. Zweimal. Das erstemal, als die Band (die Tobrita hieß – das war ihr Einfall: ihre beiden Namen auf immer miteinander verbunden, als könnte es ein Immer geben) gerade richtig in Gang kam, und das zweitemal, als die Plattenfirma sie auf Tournee schickte. Beim erstenmal hatte Toby sie zu einer Abtreibung überredet, beim zweitenmal hatte sie sich geweigert. Das war dann Anise gewesen. Konnte sie sich ein Leben ohne Anise überhaupt vorstellen? »Ich halte jetzt Wache«, sagte Francisco. » Todo bien? «
    Sie stand an den Türrahmen gelehnt da und war im Begriff, die schmutzigen Stiefel abzuklopfen. Hinter ihr roch es nach Regen, während ihr durch die offene Tür der dichte, komplexe Geruch des Essens entgegentrieb. »Ich weiß nicht«, sagte sie, und ihre Stimme klang hart in ihren Ohren. »Herrgott, manchmal möchte ich einfach alles hinschmeißen und mich in irgendeinem Motel einquartieren und Sozialhilfe kassieren wie alle anderen auch, verstehst du?« Er verstand nicht. Er verstand nur etwas von Schafen. Es gab ein seufzendes Geräusch, als sie erst den einen und dann den anderen Fuß aus den Stiefeln zog. Sie stützte sich an der Wand ab. »Aber vielleicht drehst du mal eine Runde und siehst nach dem Rechten, besonders gegenüber von da, wo Anise ist.« Sie lächelte entschuldigend. »Du kennst mich ja: immer besorgt.«
    Er hätte ihr Lächeln erwidern können, doch Francisco lächelte nur, wenn er betrunken war. Er hätte ja sagen oder nicken können, doch er sah sie nur ausdruckslos an. Die Mütze war bereits durchgeweicht.
    Sie stellte die Stiefel beiseite, nahm den Sombrero ab und schlug ihn zweimal ans Bein, dass die Tropfen flogen. »Na, dann geh mal und steh nicht herum«, sagte sie. Sie roch das Brot, zog es aus dem Ofen und stellte es zum Abkühlen auf einen Rost, sie rührte mit dem Kochlöffel in den Tiefen des Topfes und war mucksmäuschenstill, als Bax von oben rief: »Rita? Rita, bist du das?«
    Zehn Minuten später war sie wieder draußen, ging durch das Gras zu Anise und suchte die Wiese nach Francisco ab. Wind war aufgekommen, der den Regen zu Schwaden zusammenschob, und zunächst konnte sie Francisco nirgends entdecken. Erst als sie Anise beinahe erreicht hatte, sah sie ihn am anderen Ende der Wiese. Er schritt zügig aus und hielt seinen selbstverfertigten Hirtenstab aus einem Stück Kunststoffrohr, an dem eine eckige Krücke befestigt war, vor sich wie eine ausgebleichte Antenne. Auf einem Pferderücken hätte er sich wohler gefühlt – bei der täglichen Arbeit benutzten sie Pferde, um die Schafe zusammenzutreiben oder um in die Hügel und wieder zurück zum Haus zu kommen –, aber heute standen Diablo, Moreno und Jonesy im Corral, rieben sich am Zaun und hoben die Nüstern in den Regen, denn sie fand, beim Lammen sei es besser, nicht einmal die kleinste Beunruhigung, und sei es durch den vertrauten Anblick der Pferde, zu riskieren. Und darum war Francisco zu Fuß unterwegs. Und sie ebenfalls.
    Alles war unverändert. Die Schafe waren auf der Wiese, die Raben auf den Bäumen, Anise und der Hund waren an ihrem Platz, und es regnete stetig. Sie war im Begriff, ihrer Tochter etwas zuzurufen, irgend etwas Gutgelauntes, Albernes wie: »Zweite Schicht meldet sich zum Dienst« oder »Ich möchte lieber nicht, dass du noch eine Minute länger hier draußen im Regen sitzt«, als die Stille von einem Gewehrschuss zerrissen wurde. Es war ein einzelner scharfer Knall, als hätte jemand einen Stock

Weitere Kostenlose Bücher