Grün wie ein Augustapfel
wurde dick wie Wasser...
Guntram fing sie auf und bewahrte sie vor einem Sturz.
»Wasser«, befahl er Manuela, »ein nasses Handtuch! Rasch!«
Manuela stürzte davon. Guntram bettete Viktoria auf das Sofa. Ihr Puls ging schwach, der Atem war kaum zu spüren. Er stützte Viktorias Kopf, und Manuela versuchte, ihr einen Schluck Wasser einzuflößen, aber es rann an Viktorias Lippen vorbei und näßte Guntrams Arm.
»Was hat sie nur?« flüsterte Manuela verängstigt, »Vicky hat doch noch nie etwas mit dem Herzen zu tun gehabt...«
Guntram nahm ihr das feuchte Handtuch ab und drückte es auf Viktorias Stirn. Sie schlug unter der kalten Kompresse die Augen auf. Ihr Atem ging noch immer flach, aber die Farbe strömte in ihre Wangen zurück. Sie sah Guntrams besorgtes Gesicht dicht vor ihren Augen und spürte seinen Atem an ihren Wimpern. Am liebsten hätte sie die Augen wieder geschlossen und dem Wunsch nachgegeben, in die Ohnmacht zurückzusinken, die ihr zugleich mit dem Bewußtsein auch alle Sorgen nahm.
»Bleiben Sie ruhig liegen«, sagte Guntram zart, »Sie haben einen kurzen Schwächeanfall erlitten. Soll ich den Arzt rufen?« Er drückte sie sanft nieder, als sie sich aufzurichten versuchte.
»Oder willst du einen Cognac haben?« fragte Manuela.
»Keinen Arzt und keinen Cognac«, bat Viktoria mit kleiner Stimme, »ich habe heute noch nichts gegessen... daran wird es wohl liegen... mir wurde plötzlich schwarz vor Augen.«
»Strengen Sie sich nicht an«, bat Guntram besorgt. »Am besten wäre es, wenn Sie sich hinlegen würden.«
»Komm, Vicky«, sagte Manuela, »ich bringe dich in dein Zimmer, ein paar Stunden Schlaf bringen dich bestimmt wieder auf die Beine.«
Viktoria nickte gehorsam, sie bedurfte keiner Hilfe, um sich aufzurichten, aber sie nahm Manuelas Arm und ließ sich in ihr Zimmer führen. Guntram trat in die Balkontür, um Manuelas Rückkehr abzuwarten. Für die Landschaft, die sich ihm im Glanz des Morgens wie die Kulisse zu einem Sommerfest darbot, hatte er kaum einen Blick. Er machte sich Vorwürfe, Viktoria auf die Ereignisse, die sie erwarteten, nicht zart genug vorbereitet zu haben. Manuela kam nach wenigen Minuten zurück. ,
»Nun?« fragte er besorgt.
»Vicky hat sich niedergelegt. Ich habe ihr Baldrian zur Beruhigung gegeben. Ich verstehe nicht, wie man sich so aufregen kann. Eine richtige Ohnmacht. Ich dachte, so was gäbe es heute gar nicht mehr.«
»Du hättest ihr vielleicht etwas zu essen geben sollen.«
»Ich bot es ihr an, aber sie sagte, ihr drehe sich der Magen um, wenn sie nur ans Essen denke. Vielleicht will sie später etwas zu sich nehmen.«
»Dann denke später daran, ihr etwas anzubieten.«
»Du bist aber mächtig um Vicky besorgt.«
Er sah sie ein wenig erstaunt an: »Du etwa nicht?«
»Natürlich — aber mein Gott, es ist doch alles halb so schlimm.«
»Was findest du halb so schlimm?«
»Die ganze Geschichte mit Gregor.«
Er sah sie schräg an, mit einem Blick, als betrachte er sie aus sehr weiter Entfernung.
»Diese Geschichte, die du für halb so schlimm hältst, ist schlimm genug«, sagte er leise, als befürchte er, Viktoria könne ihn hören, »denn falls dein Bruder Gregor an dem Überfall auf den Hausmeister beteiligt war, erwartet ihn ein Jahr Gefängnis. Sonst wahrscheinlich ein halbes Jahr. Das ist die Meinung von Dr. Strachwitz, und als Jurist weiß er sicherlich, was er sagt.«
»Das ist doch nicht möglich«, stammelte sie erblassend.
»Das ist leider so«, sagte er sehr ernst, »aber das solltest du deiner Mutter heute nicht erzählen. Sie wird es früh genug vom Anwalt erfahren.«
»Daß Gregor uns das antun konnte«, rief sie empört.
»Wem antun?« fragte er und legte den Kopf auf die Seite.
»Dir? Deiner Mutter? Ich finde, er hat sich selbst am meisten angetan. Mit seinem Examen dürfte es aus sein.«
»Mein Gott, daran habe ich noch gar nicht gedacht.«
»Das ist vorläufig auch nicht so wichtig. Den Fall Gregor könnt ihr eurem Anwalt überlassen. Der Fall Freytag ist im Augenblick dringender.«
»Freytag!« Sie schien völlig vergessen zu haben, daß dieses Problem auch noch existierte. »Daran habe ich überhaupt nicht mehr gedacht«, sagte sie bestürzt.
»Ich habe die Absicht, heute nachmittag für ein paar Stunden nach Frankfurt zu fahren. Ich habe dort einen alten Freund. Wir haben zusammen das Abitur gemacht. Er heißt Dieter
Hellwig und ist Anwalt. Ein gerissener Bursche. Ich möchte mit ihm einmal in aller Ruhe
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