Gründergeschichten
aufeinander. »Es hat oft geknallt«, erinnert sich Milner heute, »wir mussten
uns eben erst zusammenfinden.« Im Raum stehen immer wieder Diskussionen darüber, ob sich ein Kaufmann nur um das Kaufmännische |195| und ein Techniker nur um das Technische kümmern sollte. Aber Milner ist klar, dass man so keine Firma aufbauen kann. »Wir
sind ein Team, wir müssen neue Prozesse gemeinsam durchdesignen«, lautet sein Credo. Am Ende wird er Recht behalten.
Vor allem die Planung der Fabrik wird zu einer Herausforderung. Besonders dort stoßen die unterschiedlichen Sichtweisen der
Gründer aufeinander: Kaufmännischer Unternehmergeist kollidiert mit praktischem Technologie-Knowhow. Während sich Milners
Sorgen um Zeit- und Kostenplanung drehen, gehen die anderen drei in technischen Details der geplanten Produktionslinie auf.
Sie hätten das Werk am liebsten mit der moderneren Inline-Fertigungsform errichtet: Alle Produkte wandern nacheinander auf
einem permanent arbeitenden Band durch sämtliche Fertigungsschritte. Weil die Maschinen ständig laufen, ist der Durchsatz
relativ hoch. Der Wirkungsgrad der Solarzellen, die dort hergestellt werden können, ist jedoch gering. Milner rechnet die
Methode durch, sein Ergebnis: »Das kostet zuviel. Wir haben zu viele Probleme mit der Zuverlässigkeit: Wenn bloß eine Komponente
in so einer großen Anlage nicht funktioniert, sind wir tot.« Er favorisiert die kostengünstigere Batch-Produktion, bei der
die Produkte gesammelt werden und in größeren Portionen eine Station nach der anderen durchlaufen. Dort ist auch der zu erreichende
Wirkungsgrad exzellent. Das geht allerdings zu Lasten des Durchsatzes, der eher klein ist.
Doch Lemoine, Grunow und Feist halten an der Inline-Produktion fest: »Wir wollen das aber.« Schließlich ist ihr Anspruch,
dass gerade das Beste und Neueste gut genug ist. Es kommt zum Krach, mal wieder. Doch am Ende siegt die Einsicht |196| sowohl in die finanziellen Probleme als auch in die technischen Notwendigkeiten: »Okay, wir wissen, die Inline-Technik kostet
zuviel und wir müssten zu viele Einschnitte in das Gesamtkonzept machen, um das zu finanzieren; bei der Batch-Technik allerdings
ist der Durchsatz zu klein.« Das Ergebnis ist salomonisch, bringt den Unternehmern aber schließlich auch entscheidende Vorteile:
Sie planen den gesamten Fertigungsablauf neu, entwickeln neue Prozesse, verabschieden sich von einigen Ansprüchen: »Wir haben
uns schließlich darauf geeinigt, dass wir das Beste von beiden Techniken nehmen, und haben dann quasi eine Fabrik darumherum
konstruiert, die hohe Wirkungsgrade und hohen Durchsatz vereint.«
Eine harte Zeit mit einigen Spannungen sei das damals gewesen, gibt Milner heute zu. »Aber wichtiger war, dass wir uns dabei
als Team gefunden haben. Bei all dem Stress und den vielen Auseinandersetzungen haben wir einen Leitsatz gelernt: ›The power
of arguments wins.‹ Das war wichtiger, als Zuständigkeiten zu schaffen und zu verteidigen.« Deswegen verwenden die vier viel
Zeit darauf, das Optimum aus jedem Blickwinkel herauszufiltern. Sie wissen: Wenn es zwischen ihnen offenen Dissens gibt, heißt
das, dass sie keine klare Linie haben. »Deswegen mussten wir die Entscheidungs- und Kommunikationswege ganz neu ausarbeiten«,
sagt Milner. »Wenn man so unterschiedliche Ansprüche hat, muss man anders arbeiten als gewohnt und vieles ausdiskutieren,
um die Lösung zu finden. Gleichzeitig braucht man einen Leitwolf, denn ohne einen Leitwolf funktioniert ein Team nicht. Mit
Leitwolf meine ich aber nicht einen Hierarchen, sondern einen, der die Richtung vorgibt und die Plattform |197| schafft, auf der das Team funktionieren kann. Der Satz ›Ein Team schafft mehr als ein Mensch‹ stimmt dann, wenn das Team gut
ist – ansonsten tritt das genaue Gegenteil ein. Wir haben unsere Fehler gemacht. Vieles würden wir heute im Nachhinein anders
machen. Aber im Großen und Ganzen würde ich sagen, dass das, was da herausgekommen ist, exzellent war.«
Ende des Jahres 2000 stehen die Planungen für die Fabrik. Sie soll auf der grünen Wiese am Rande der 1500-Seelen-Gemeinde
Thalheim errichtet werden, keine zehn Kilometer vom Industriepark Bitterfeld entfernt. Ausgerechnet in einer Gegend, die zu
DDR-Zeiten wegen ihrer Chemiebetriebe zu den schmutzigsten Regionen Europas zählte, soll nun ein Produktionszentrum für eine
der fortschrittlichsten Umwelttechnologien
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