Gründergeschichten
entstehen.
Zeitgleich mit den Planungen zum Bau der Fabrik kümmern sich Milner und seine Kollegen darum, genügend Startkapital einzusammeln.
Dank der hervorragenden Wachstumsaussichten, die dem Markt bescheinigt werden, haben sie schnell Erfolg: Gleich in der ersten
Finanzierungsrunde sammeln sie mehr als zwölf Millionen Euro ein. Weiteres Geld kommt durch eine stille Beteiligung des Landes
Sachsen-Anhalt. Auch einen Business-Angel, einen frühen Unterstützer und Finanzgeber, finden Milner und seine Partner: Reiner
Lemoine kennt den Investor Immo Ströher noch von seiner Zeit bei der Firma Solon in Berlin. Das Finanzierungsgespräch verläuft
überraschend kurz, wie sich Milner erinnert:
»Reiner und ich fragten Immo: ›Hier ist der Businessplan, können wir mit dir darüber reden? Es geht um eine Million.‹
Immo sagte: ›Hört zu, der Businessplan ist relativ dick, eigentlich |198| möchte ich das nicht unbedingt lesen. Reiner, ist das eine gute Sache?‹
Reiner: ›Ja.‹
Immo: ›Soll ich das machen?‹
Reiner: ›Ich denke schon.‹
Immo: ›Okay, ich mach’s.‹«
Auch von der DKB, der Deutschen Kreditbank, erhalten die Q-Cells-Leute Unterstützung. Jetzt können sie endlich loslegen. Sie
sind spät dran, eigentlich sollte das Fabrikgebäude schon im Jahr 2000 stehen. Doch die Bauarbeiten beginnen erst im Januar
2001. Für die Männer ist klar: »Wir wollen Mitte des Jahres 2001 das erste Produkt haben, und wir bleiben dabei. Ganz egal,
ob wir ein paar Monate verloren haben, wir holen das ein.« Der Plan steht. »Gerade diese Ambitionen, dieser Anspruch ist total
wichtig in einem Unternehmen«, findet Milner. Wenige Monate später wird die erste Produktionslinie fertig.
Von außen wirkt die Halle wie eine gewöhnliche, neue Werkhalle – wenn man von den Dutzenden Solarmodulen auf dem Dach absieht.
Innen aber ist sie vollgestellt mit Hightech für die Produktion: automatisierte Transportbänder, Roboterarme, Lasermessgeräte,
Phosphorgas-Brennöfen, Kontrollpanels. Das vermeintliche Chaos folgt einer strengen Ordnung: der Fertigungslinie, dem Herzstück
von Q-Cells. Hier werden so genannte Roh-Wafer zu dem veredelt, was als Solarzelle bekannt ist. Die Wafer sind zuvor aus Blöcken
multikristallinen Siliziums zu grau schimmernden, hauchdünnen Scheiben von 15 mal 15 oder 21 mal 21 Zentimetern Kantenlänge
gesägt worden. Zu Beginn der Fertigung werden sie nach einem Qualitätstest von Förderbändern ins Nassbad |199| transportiert. In einer Art großen, luftdichten Vitrine werden die rauen Wafer-Oberflächen glatt geätzt, abgespült und schließlich
getrocknet. Das Material der Rohlinge ist positiv leitend. Sie werden nun von Roboterarmen in einen 900 Grad heißen Diffusionsofen
mit Phosphorgas befördert. Das Gas bildet in der Hitze eine Schicht auf dem Wafer, die negativ leitend ist.
Wieder transportieren Roboterarme die zerbrechliche Fracht zur nächsten Station – Menschen sind bei diesem Prozess nur als
Kontrolleure und Pannenhelfer nötig. Der Plasma-Ätzer sorgt schließlich für eine saubere Trennung der beiden Schichten an
den Rändern. Nun wird die Zelle in einem weiteren Ofen mit Siliziumnitrid beschichtet. Aus dem eben noch grauen Wafer ist
nun eine dunkelblau funkelnde Zelle geworden, die besser leitet und besser gegen Umwelteinflüsse geschützt ist. Nach weiteren
Zwischenschritten werden auf diese Zelle per Siebdruck mit einer Silberpaste Linien aufgetragen, die sich im Ofen, der nächsten
Station, in die positive und die negative Schicht der Solarzelle hineinbrennen. Die blaue Platte hat jetzt ihr typisches Gittermuster,
über das der entstehende Strom abfließen kann. Am Ende der Fertigungslinie misst ein Sonnensimulator die Leistungsfähigkeit
jeder einzelnen Zelle und teilt sie einer von 48 Qualitätsklassen zu. Das fertige Produkt wandert in eine Styroporschachtel
und kann abtransportiert werden.
Am 23. Juli 2001 verlässt die erste Solarzelle das Band, keine sieben Monate nach dem Baubeginn der Fabrik. Soweit Milner
weiß, ist das der schnellste Anlauf einer Zellenproduktion, der jemals geschafft worden ist. Zwar arbeiten die Gründer eng
mit Partnerunternehmen zusammen, doch eigentlich |200| besteht Q-Cells 2001 noch immer bloß aus vier Personen. Aber das wird sich bald ändern. Den Rest des Jahres nutzt das Team,
um die Prozesse zu optimieren und die ersten Mitarbeiter einzustellen. Dann wird es ernst: Anfang 2002
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