Gruene Armee Fraktion
hektische Funksprüche aus einem Wagen mit ausgefahrenen Antennen, der als mobile Einsatzzentrale fungierte. Daffner sprach kurz mit einem Polizeiführer, der immer wieder von Anrufen unterbrochen wurde, dann hob er die Hand, um sein BKA-Team um sich zu sammeln.
»Die Lage, soweit bisher bekannt: ICE von Hamburg-Altona nach München, aus dieser Richtung gekommen.« Er zeigte nach Norden, auf eine lange Brücke mit hohen Betonstelzen, die über ein Tal mit einem Bach und einer Mühle führte. »Einfahrt in den Tunnel wohl exakt um vierzehn Uhr sieben, wahrscheinlich über zweihundert Stundenkilometer. Kollision mit unbekanntem Hindernis.«
Er holte tief Luft und verengte die Augen. »Es soll schlimm aussehen da drin. Wir gehen jetzt rein.«
Unter dem Schild »Landrücken-Tunnel, Länge 10779 Meter« streiften sich die BKA-Beamten weiße Overalls über. Auch Mondrian zwängte sich in einen Schutzanzug und schob sich die Kapuze über die Haare. Unter dem Kunststoff fing er sofort an zu schwitzen.
»Cool bleiben, Leute«, mahnte Daffner, während er noch einmal kurz in die Runde schaute. »Unser Job sind nur die Spuren. Alles andere überlassen wir den Rettungskräften. Wir versuchen, an die Spitze zu kommen, um den Triebkopf zu untersuchen. Offenbar ist der Zug nach dem Aufprall noch über einen Kilometer weit in den Berg gerauscht.«
Die BKA-Leute griffen sich die Koffer mit ihrem Gerät und schleppten sie über den Gleisschotter zu dem Tunnel, der in einen steilen Hang gebohrt war. Der halbkreisförmige Eingang sah aus wie ein schwarzes Loch, aus dem rauchige Schwaden drangen. Innen war die finstere Röhre nur schwach durch gelbe Notlampen erleuchtet, und gleich nachdem Mondrian in das Zwielicht eingetaucht war, musste er nach Atem ringen. Nicht nur wegen des aufgewirbelten Staubs, der überall in der Luft lag.
Menschen mit verstörten Blicken wankten ihnen auf unsicheren Beinen entgegen. Augen, starr vor Angst, blickten aus blutverschmierten Gesichtern, die notdürftig verbunden waren. Die meisten dieser unwirklichen Gestalten sahen wie gepudert aus, über und über bedeckt mit einer Schicht aus schmutzigem Grau. Bilder wie beim Anschlag auf das World Trade Center, dachte Mondrian unwillkürlich, als eine gigantische Staublawine durch die Straßenschluchten New Yorks gerollt war. Nur dass hier ein ICE mit unvorstellbarer Wucht durch eine Steinröhre geschrammt und durch ein Schotterbett gepflügt war, nachdem ihn irgendetwas aus den Gleisen katapultiert hatte. Überall lagen zerfetzte Blechteile neben dem Wrack, abgerissene Oberleitungen hingen von der Decke. Sanitäter mit reflektierenden Streifen an den Uniformen führten Passagiere, die nicht ohne Stütze laufen konnten, an den Trümmern vorbei ins Freie. Schwerverletzte wurden mit Infusionsflaschen versorgt und auf Tragen abtransportiert.
Der BKA-Trupp musste sich durch das Chaos vorarbeiten, um die Spitze des Zugs zu erreichen. Die Radsätze mehrerer Waggons waren aus den Schienen gesprungen, die Scheiben gesplittert, die Außenwände verbeult. Einzelne Wagen lagen gekippt und verkeilt auf der Seite, ein Teil des Zugs schien gefaltet wie eine Ziehharmonika.
Ein beißender Gestank nach verschmortem Kunststoff hing in der Luft, während Feuerwehrleute mit Löschgerät und Atemschutz anrückten. Mondrian musste wieder und wieder husten. Er hielt sich ein Taschentuch vor Mund und Nase und arbeitete sich mit Daffners Leuten weiter zur Spitze des Zugs vor. Als sie dort angekommen waren, sahen sie, dass die Nase des Triebkopfs nicht mehr existierte. Sie war zusammengepresst zu einem blechernen Knäuel, ein metallener Klumpen, aus dem ein lebloser Arm hing. Von dort, wo einmal der Zugführer gesessen haben musste, lief ein dünnes rotes Rinnsal in das Gleisbett.
Im gleißenden Licht von Halogenscheinwerfern, die sie auf Stativen aufgebaut hatten, begannen die BKA-Beamten ihre Arbeit. Sie sperrten den Bereich um den Triebkopf mit einem Band ab und fotografierten ihn aus allen Winkeln. Mit Speziallampen suchten sie auf den vordersten Metallteilen nach Anhaftungen, um Spuren des Hindernisses zu finden, auf das der Zug geprallt war. Dann kam die Laserkanone zum Einsatz: Ihr roter Strahl tastete sich Zentimeter um Zentimeter über die Trümmer, um den Schauplatz elektronisch festzuhalten.
»Ziemlich überflüssig hier, das Ding«, flüsterte Daffner, während er sich zu Mondrian umdrehte.
»Wieso?« Mondrian zog die Augenbrauen hoch. Er erinnerte sich genau, wie
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