Gruene Armee Fraktion
der Kommissar ihm noch kürzlich von seiner Wunderwaffe vorgeschwärmt hatte. Mit dem rotierenden Scanner, der seine Daten auf einen Laptop schickte, konnten die Kriminalisten nicht nur den Tatort eines Verbrechens, sondern auch eine Unglücksstelle millimetergenau aufzeichnen. Mit einer speziellen Software konnte man später wie in einem Computerspiel darin herumspazieren und bis in den letzten Winkel vorstoßen, um Beweise zu sichern oder den Hergang zu rekonstruieren.
Daffner bückte sich zu einigen Holzsplittern, die sich wie Keile in das zerbeulte Metall der Zugspitze gebohrt hatten. »Ist damit nicht alles klar?«
Schon bald nachdem sie sich in den Tunnel vorgetastet hatten, waren sie auf Teile von Baumstämmen gestoßen. Meterlange Stücke, dicker als Oberschenkel, manche geknickt wie Strohhalme, manche auseinandergebrochen oder bis auf die Fasern zerfetzt. Einige hatten ihre Rinde verloren, als sie im Schotter mitgeschleift worden waren, andere hatten sich ins Gleisbett gebohrt oder lagen kreuz und quer übereinander wie die Reste eines überdimensionalen Mikadohaufens.
»Eine Barriere aus Baumstämmen?« Mondrian kratzte sich die feuchte Stirn und schüttelte den Kopf. »Das reicht, um einen ICE entgleisen zu lassen?«
»Gar nicht so lange her, dass ein paar Schafe das geschafft haben«, erwiderte Daffner. »Genau hier, in diesem Tunnel. Weil ein Schäfer nicht auf seine Tiere aufgepasst hat.«
»Dann muss sich jemand was davon abgeguckt haben.«
»Diesmal waren es jedenfalls keine verirrten Viecher, die das gemacht haben«, sagte Daffner. »Hast du die Stelle mit den hochgebogenen Schienen bemerkt?«
Er gab Mondrian ein Zeichen, ihm zu folgen. Der beeilte sich, ihm auf den Fersen zu bleiben. Sein Mund war trocken von dem übel schmeckenden Staub, den er immer wieder auszuspucken versuchte, und der giftig riechende Qualm machte ihn benommen. Seine Beine waren inzwischen so schwer, dass er im Halbdunkel über Trümmer und Gepäckstücke stolperte, die herrenlos auf dem Boden lagen. Als sie den Tunnelausgang fast erreicht hatten, stoppte Daffner neben einer Gruppe Bahnbeamter. Sie knieten mit Messinstrumenten über einer mit Kreide markierten Stelle, wo die Schienen von den Schwellen gelöst und angehoben waren.
»Wie eine Sprungschanze«, sagte Mondrian. »Wie haben die das hingekriegt?«
»Offenbar mit Keilen, die unter die Schienen getrieben wurden«, sagte einer der Beamten, der die Stimme hinter sich gehört hatte. »Und dann kam wohl ein Haufen von Baumstämmen als Prellbock dazu.«
»Mitten auf einer ICE-Strecke? Wie kann man da so was bauen?«, fragte Mondrian verwundert.
»Genau das will ich jetzt rausfinden.« Daffner drehte sich um und stapfte wild entschlossen dem Ausgang zu.
Mondrian, inzwischen schweißnass am ganzen Körper, konnte ihm nicht so schnell folgen. Er musste erst mal Luft holen, als er wieder im Freien stand. An der Nordseite des Landrückentunnels waren inzwischen schwere Kranwagen der Bahn herangerollt worden, um die demolierten Waggons aus der Röhre zu ziehen, und THW-Männer rückten mit Hydraulikpressen in den Tunnel ein.
Er hörte, wie ein Bundeswehroffizier über Funk Bergepanzer des Heers anforderte. Daneben telefonierten Beamte des Eisenbahnbundesamts hektisch, um Umleitungen für blockierte Intercity-Züge zu organisieren. Neben einer Kolonne von Rettungswagen bauten Sanitäter vom Roten Kreuz ein Feldlazarett auf.
In einem der Zelte gaben Helfer heißen Tee an Evakuierte aus, die mit dem Schrecken davongekommen waren und sich in Decken gehüllt auf provisorische Sitzbänke drückten. Draußen wurden Verletzte, die humpelten oder auf Tragen festgeschnallt waren, zu anderen Stationen geleitet.
»Platzwunden und Knochenbrüche hierher«, hörte Mondrian einen Notarzt kommandieren, der die Einteilung der Verunglückten übernommen hatte. Ein junges Paar mit blutgetränkten Verbänden an den Armen wurde in eine Schlange dirigiert, in der schon andere auf ihre Behandlung warteten. Chirurgen hatten hinter einer Plane einen OP-Tisch aufgebaut und nähten dort große Schnittwunden. Nebenan gaben Schwestern leise stöhnenden Patienten Spritzen mit Schmerzmitteln.
Die schwersten Fälle, rote Triagekarten um den Hals, wurden in einem weiteren Zelt von Anästhesisten für den Abtransport stabilisiert.
In seinem weißen Overall lief Mondrian selbst wie betäubt hin und her. Er begegnete einem alten Mann und einer weißhaarigen Frau, die sich eng umschlungen hielten,
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