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Gruene Armee Fraktion

Gruene Armee Fraktion

Titel: Gruene Armee Fraktion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Metzner
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hallten in Mondrians Kopf nach und weckten eine ferne Erinnerung. Hatte er diesen Begriff nicht früher oft von seinem Bruder gehört? Wenn Bennie von jener Versammlung in Berlin geschwärmt hatte, als die APO-Studenten die Welt aus den Angeln heben wollten?
    »Stell dir einen brechend vollen Saal vor«, hatte Bennie gesagt, der acht Jahre älter war und 1968 in der Mauerstadt studiert hatte, »ein fünfzackiger Stern an der Frontseite, rhythmisches Klatschen und Ho-Chi-Minh-Sprechchöre. Zu Tausenden waren wir damals zum Vietnam-Kongress in der TU gekommen, um gegen die Unterdrückung eines Dritte-Welt-Landes durch die Supermacht USA zu protestieren. Wir skandierten ›Ein, zwei, viele Vietnam!‹. Wir wollten ›die Verhältnisse zum Tanzen bringen‹, wie man damals sagte. Und als Rudi Dutschke dann mit seinem heiseren Stakkato auf die Leute einhämmerte und von einem historischen Moment sprach, brannte wirklich die Luft.«
    Wenn Mondrian jetzt über die Menge schaute, war von solcher Euphorie nichts zu spüren. Nach den ersten Lachern nun viele erstarrte Mienen. Gelichtete Schädel und faltige Züge, in denen Erfahrungen und Enttäuschungen wie Jahresringe eingegraben waren. Ein paar Frauen hatten ihr Strickzeug herausgeholt, als säßen sie auf einem früheren Grünen-Parteitag. Ältere Herren trugen kleine Sticker mit DDR-Devotionalien. Aber es gab auch Jüngere, deren Augen an Brandtners Lippen hingen, als wäre er ein Wiedergänger des APO-Philosophen Herbert Marcuse. Mondrian war sich sicher, dass Brandtner der Mann im Hintergrund war, der in Schirras Papieren auftauchte. Bloß, wo war die Frau von dem Handy-Bild?
    So gut er konnte, scannte er die Reihen bis hoch zur Empore. Kein Treffer, auch nicht nach Minuten. Als der christliche Ex-Minister mit dem schwäbischen Dialekt zu reden begann, verließ er wie viele andere den Saal. An einem Stand mit Produkten aus Nicaragua ergatterte er einen Plastikbecher mit Kaffee. Wie sollte er die Frau ohne Namen in diesem Gedränge finden? In einem Chaos von Kolloquien, Panels und Kursen, die gleichzeitig in mehreren Gebäuden stattfanden? Zwischen unzähligen handgekritzelten Hinweisschildern und Fotos mit einem Eisbären, der ihn ratlos von einer schmelzenden Scholle aus ansah?
    Ohne bestimmtes Ziel zog er zum fünfzehnstöckigen Philosophenturm und passierte einen Hörsaal, in dem ein Theologe über »Leben auf Pump« sprach und den überhöhten Naturverbrauch geißelte. Blickte drei Räume weiter Farbigen mit rot-grün-gelben Caps über die Schulter, die an einem Workshop mit dem Titel »no border – no nation – no deportation« teilnahmen. An einer veganen Imbissbude bekam er ein Flugblatt mit der Einladung zur »Tierrechts-Soliparty« in die Hand gedrückt.
    Er trat nach draußen, lauschte einen Moment einem Mann, der auf einem Didgeridoo spielte, und ging hinüber in die Hochschule für Wirtschaft und Politik. Dort, neben dem »Café Knallhart«, fand das Forum »Green New Deal« statt. Die Diskussion »Kann Technik das Klima retten?« lief bereits, als er durch die halb geöffnete Saaltür blickte. Und plötzlich, hinter Besuchern, die noch in den Raum drängten, sah er sie.
    Sie saß auf dem Podium hinter einem Tisch mit Mikrofon, den schmalen Kopf in eine Hand gestützt, die Beine übereinandergeschlagen; »Dr. Ricarda Walde«, stand auf ihrem Namensschild. Die jadegrünen Augen waren das Erste, was Mondrian an ihr auffiel. Schwarze Locken umrahmten hohe Wangenknochen, was ihrem Gesicht etwas Indianisches gab. Zwischen fünfunddreißig und vierzig Jahre mochte sie alt sein, nicht besonders groß, aber die Statur einer Athletin. Und die Kampfeslust einer Amazone, dachte er, als sie den Mann neben ihr auf dem Podium unterbrach.
    »Das sind doch Luftschlösser, die Sie uns hier verkaufen wollen«, rief sie, nachdem ein Vattenfall-Manager für die Speicherung von Klimagasen unter der Erde geworben hatte.
    »Das ist eine Unverschämtheit, nichts als greenwashing «, ging sie dazwischen, als ein BP-Direktor den Namen seines Konzerns mit beyond petroleum übersetzte und einen raschen Übergang vom Erdöl auf neue Energien versprach.
    »Hören Sie doch auf, der Atomindustrie grüne Mäntelchen umzuhängen«, hielt sie einem Beamten aus dem Umweltministerium entgegen, »erst haben Sie die Kernkraft als Brückentechnologie für das Klima hochgejubelt, jetzt wollen Sie angeblich alle Atommeiler stilllegen. Aber wann? Warum nicht sofort? Mit jedem Tag, den diese

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