Gruene Armee Fraktion
misstrauisch. »Warten Sie.«
Mit einigen Jugendlichen aus ihrem Anhang ging sie außer Hörweite und redete auf sie ein. Dann kam sie wieder und sagte: »Wir testen mal, woran wir mit Ihnen sind. Kommen Sie mit.«
Immerhin ein Anfang, dachte er und folgte ihr, als sie mit ihren Groupies im Schlepptau aus dem HWP-Gebäude trat, in dem inzwischen die Gespräche mit der Musik zu einem lärmenden Klangbrei verschmolzen. Es war Abend geworden, und in der Dunkelheit steuerten sie auf einen Parkplatz hinter dem Audimax zu. Mondrian wurde von drei Jugendlichen in schwarzen Kapuzenpullis zu einem Kombi dirigiert, der schräg gegenüber dem Rechtshaus stand. Aus dem halb erleuchteten Gebäude kamen immer noch ein paar übereifrige Jurastudenten.
»Spießer«, zischte einer von Ricarda Waldes Begleitern mit Bubi-Stimme und kicherte dann hell, als sie im Auto saßen. »Legal, illegal, scheißegal, das kennst du doch, oder?«
Mondrian, auf dem Beifahrersitz, wurde plötzlich schwarz vor Augen. Von hinten hatte ihm jemand ein Tuch über den Kopf geworfen. Es wurde festgezogen und verknotet.
Er hörte, wie der Motor ansprang.
18
Kommune, Hamburg
Finsternis.
Undurchdringliche Schwärze und die Geräusche eines Wagens, der in der abendlichen Stadt unterwegs war.
Anfangs versuchte Mondrian noch, die Strecke im Kopf zu verfolgen. Gestartet waren sie in der Schlüterstraße, dann wohl in die Rothenbaumchaussee gebogen. Er merkte sich, wenn sie länger geradeaus fuhren. Er wurde nach vorn gezogen, wenn das Auto stoppte, vielleicht an einer roten Ampel, und gegen die Rücklehne gepresst, sobald der Fahrer wieder Gas gab. Er spürte, wie er zur Seite gedrückt wurde, wenn der Wagen in eine Kurve ging. Eigentlich kannte er die Straßen Hamburgs ziemlich gut, aber er hatte das Gefühl, dass sie absichtlich Haken schlugen. Nach der fünften oder sechsten Richtungsänderung begann er, unsicher zu werden. Waren sie, wie er anfangs gedacht hatte, nach Norden gefahren? Richtung Stadtpark oder um die Alster? Oder waren sie unterwegs nach Süden, vielleicht nach Wilhelmsburg?
Das Tuch vor seinen Augen war so stramm gezogen, dass er einen harten Knoten am Hinterkopf spürte. Durch den festen Stoff konnte er nicht mal den Schimmer vorbeifliegender Lichter sehen. Nach einer Weile hatte er komplett die Orientierung verloren. Der Geruch muffiger Kleidung stieg ihm in die Nase und mischte sich mit Dieselgestank, der aus einer maroden Spritleitung stammen mochte. Er musste aufkommenden Schwindel bekämpfen, als sie wieder durch scharfe Kurven fuhren, legte den Kopf in den Nacken und stützte sich so gut wie möglich ab.
Okay, spiel es mit, dieses Spiel, dachte er. Blind Date mit Kapuzenmenschen. Wo brachten sie ihn hin?
Er beschloss, nicht zu fragen. Sollten sie erst mal die Regeln bestimmen. Sich sicher fühlen, damit sie aus der Deckung kamen und sich vielleicht irgendwelche Fährten auftaten, die ihm weiterhalfen. Im Augenblick konnte er nur versuchen, Geräusche von draußen aufzuschnappen. Vielleicht das Rattern einer S-Bahn auf einer Brücke. Oder den pfeifenden Widerhall der Autoreifen in einem Tunnel oder Schiffshörner im Hafen. Stattdessen war plötzlich das Klicken eines Feuerzeugs neben seinem Kopf zu hören. Dann füllten Schwaden von Zigarettenqualm das Wageninnere. Und plötzlich auch die schmutzigen Riffs einer Gitarre, ein Schlagzeug wie ein Presslufthammer, Fetzen einer brüllenden Stimme.
»… gewöhn dich daran, an den Weltuntergang … auch du bist dann dran, beim Weltuntergang …«
Punkrock, laut wie in einer Maschinenhalle, bis zur Schmerzgrenze aufgedrehte Boxen.
»Was ist denn das für eine Foltercombo?«, fragte er in einem Moment, in dem die Band Atem holen musste.
»Die Terrorgruppe«, sagte die helle Bubi-Stimme und lachte. »Die heißen echt so. Nicht dein Ding, Alter? Wir haben auch Musik, die du kennen müsstest.«
Ein anderer Song, diesmal leiser.
»Der lange Weg, der vor uns liegt, führt Schritt für Schritt ins Paradies …«
Ja, daran erinnerte er sich: Ton Steine Scherben, 1.-Mai-Umzüge in Berlin-Kreuzberg. »Schon besser. Wo habt ihr denn diesen Oldie runtergeladen?«
»Entspann dich«, sagte die Bubi-Stimme, ohne auf seine Frage einzugehen. »Wir sind bald da.«
Sie bogen um eine Ecke, und unvermittelt ratterten die Reifen über Kopfsteinpflaster. Das dumpfe Hallen setzte so abrupt ein, als wären sie unter eine Brücke gefahren, begleitet vom Rumpeln einer S-Bahn und vom Schleifen
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