Grüne Magie
dabei alles andere als anmutig wirkten. Einmal versuchte ein Schleichteufel, über die Barriere hinwegzuspringen. Bei einer anderen Gelegenheit warfen sich drei Heuler gegen die magische Wand. Sie prallten daran ab, wichen zurück und stürmten erneut los, ohne das Hindernis durchbrechen zu können. Und die ganze Zeit über sahen die Pilger fasziniert zu.
Cugel trat ganz dicht an den dunstigen Wall heran und schlug mit einer brennenden Fackel nach einem der Phantome. Es gab einen wütenden Schrei von sich. Ein langer grauer Arm streckte sich ihm entgegen, und Cugel sprang gerade noch rechtzeitig zurück. Die Barrikade hielt stand, und bald machten sich die sonderbaren Wesen knurrend auf und davon.
Am Abend des dritten Tages erreichten die Wanderer die Stelle, an der der Asc in einen anderen breiten Strom mündete, den Garstang Scamanderfluß nannte. Ganz in der Nähe erstreckte sich ein Wald aus Knollenkiefern, hohen Pinien und Stacheleichen. Einige einheimische Holzfäller halfen ihnen beim Glätten und Zuschneiden von Baumstämmen, die anschließend an die Wassergrenze gerollt wurden. Dort begann man dann mit dem Bau eines Floßes. Alle Pilger gingen an Bord, und kurz darauf glitt das Gefährt in die Strömung und trieb langsam und elegant flußabwärts.
Fünf Tage dauerte die Reise mit dem Floß über den Scamanderstrom. Manchmal gerieten die Ufer fast außer Sicht, und dann wieder waren sie dem hohen Riesgras so nahe, daß man nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um es zu berühren. Die Pilger vertrieben sich die Zeit, indem sie lange Diskussionen führten, was in bezug auf viele Dinge eine erstaunliche Meinungsvielfalt offenbarte. Ab und zu erörterten sie metaphysische Rätsel und Mysterien oder die subtilen Aspekte der gilfigitischen Prinzipien.
Subucule war der gläubigste aller Pilger, und er legte seineÜberzeugungen detailliert dar. Er erklärte alle Einzelheiten der orthodoxen gilfigitischen Theosopie: Die achtköpfige Gottheit Zo Zam, führte er aus, habe nach der Erschaffung des Universums einen Zeh verloren, der zu Gilfig wurde, während die Blutstropfen die Entstehungsgrundlage der acht verschiedenen Menschenvölker bildeten. Roremaund, ein Skeptiker, stellte diese Doktrin in Frage: »Und wer erschuf deinen hypothetischen Schöpfer? Ein anderer Gott? Wesentlich einfacher ist es, das Ende der Welt zu beschreiben: eine flackernde Sonne samt sterbender Erde!« Daraufhin setzte Subucule zu einer entrüsteten Gegenrede an und lies es sich dabei nicht nehmen, die Gilfigitischen Texte zu zitieren.
Ein Mann namens Bluner legte kühn sein eigenes Glaubensbekenntnis ab. Er ging davon aus, daß die Sonne eine Zelle im Körper einer gewaltigen Gottheit war, die den Kosmos erschaffen hatte – in einem Prozeß, der seiner Ansicht nach mit dem Wachstum von Flechten auf Felsen verglichen werden konnte.
Subucule hielt diese These für zu übertrieben. »Wenn die Sonne eine Zelle sein soll, worin besteht dann die Natur der Erde?«
»Sie ist eine Ansammlung von Mikroorganismen, die ihre Nahrung von der Hauptzelle erhalten, der Sonne«, erwiderte Bluner. »Solche Abhängigkeitsverhältnisse sind auch aus anderen Bereichen bekannt und stellen nichts Erstaunliches mehr dar.«
»Und die Sonne?« warf Vitz spöttisch ein. »Handelt es sich bei ihr vielleicht um eine Zelle, die ihrerseits aus anderen Mikroorganismen besteht? Wie soll das alles denn enden?«
Bluner begann mit einer umfangreichen Erklärung seines Weltbildes, doch schon nach kurzer Zeit wurde er von Pralixus unterbrochen, einem hochgewachsenen dünnen Mann mit stechenden grünen Augen. »Hört mir zu! Ich weiß alles. Meine Doktrin ist ganz schlicht und einfach. Es sind viele Zustände denkbar, und die Anzahl der Unmöglichkeiten ist noch größer. Unser Kosmos ist ein möglicher Zustand: Er existiert. Warum? Die Zeit stellt eine unendliche Größe dar, und das bedeutet, daß sich irgendwann jede Möglichkeit verwirklicht. Da wir in diesem besonderen Zustand leben und keinen anderen kennen, neigen wir dazu, dem Jetzt eine absolute Qualität zuzuschreiben. In Wirklichkeit jedoch werden irgendwann alle Universen existieren, die denkbar sind, und zwar nicht nur einmal, sondern mehrfach.«
»Ich bin zwar ein frommer Gilfigit, habe mir jedoch eine ähnliche Anschauung zu eigen gemacht«, bemerkte Casmyre, der Theoretiker. »Meine Philosophie geht von einer Abfolge einzelner Schöpfer aus, von denen jeder einzelne unabhängig ist. Um die Worte des
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