Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
eine junge Frau – sogar ein Baby mit Ihren achtundvierzig Jahren. Die Hälfte des Lebens liegt noch vor Ihnen. Und Mary Kay ist es egal, wie alt Sie sind. Die hat auch schon die erste Jugendblüte hinter sich. Wenn ich Ihre Haut hätte und so alt wäre wie Sie – ich würde versuchen, mir einen Cadillac zu verdienen. Natürlich müsste ich erst den Führerschein machen. Aber ich würde es jedenfalls probieren. Bedenken Sie doch – wenn Sie so lange leben wie ich, haben Sie noch siebenunddreißig Jahre …«
Evelyn lachte. »Wie fühlt man sich eigentlich mit sechsundachtzig, Mrs. Threadgoode?«
»Nun, ich fühle mich nicht anders als früher. Das hängt immer von einem selber ab. Eben war man noch jung, und am nächsten Tag hängen Busen und Kinn runter, und man trägt ein Korsett. Aber man merkt nicht, dass man alt ist. Natürlich sehe ich’s, wenn ich in den Spiegel schaue, und das erschreckt mich manchmal zu Tode. Mein Hals kommt mir vor wie altes Krepppapier, und gegen meine unzähligen Falten kann ich überhaupt nichts tun. Oh, früher habe ich diese Creme von Avon verwendet, aber die wirkte nur eine Stunde lang, dann waren alle Falten wieder da. Schließlich gab ich’s auf, dagegen anzukämpfen. Jetzt tu’ ich mir gar nichts mehr ins Gesicht – nur ein bisschen Feuchtigkeitscreme und Augenbrauenstift – damit man sieht, dass ich Brauen habe – die sind nämlich ganz weiß, Schätzchen. Und ich bin voller Leberflecken.« Mrs. Threadgoode betrachtete ihre Hände. »Man wundert sich, wo all die kleinen Kerle herkommen«, fügte sie lachend hinzu. »Ich bin sogar zu alt, um fotografiert zu werden. Francis wollte mich mit Mrs. Otis knipsen, aber ich zog den Kopf ein und sagte, ich würde die Kamera sprengen.«
Evelyn fragte, ob Mrs. Threadgoode sich im Pflegeheim einsam fühle.
»Manchmal schon. Natürlich, meine ganze Familie ist tot … Hin und wieder schaut jemand von der Kirchengemeinde nach mir, aber sie sagen immer nur ›guten Tag‹ und ›auf Wiedersehen.‹ Ich sehe mir oft das Foto von Cleo und dem kleinen Albert an, überlege mir, was sie jetzt wohl machen, und träume von vergangenen Zeiten.« Die alte Frau lächelte Evely an. »Davon lebe ich jetzt, Schätzchen – von solchen Träumen.«
W HISTLE S TOP C AFÉ
W HISTLE S TOP , A LABAMA
18. November 1940
Stump schoss im Wohnzimmer mit einem Gummiband-Gewehr auf Pappamseln, und Ruth sah gerade Papiere durch, als Idgie vom alljährlichen Angelausflug des Dillgurkenclubs zurückkehrte und zur Hintertür hereinstürmte. Der Junge rannte ihr entgegen, sprang an ihr hoch und warf sie beinahe um.
Bei ihrem Anblick atmete Ruth auf, denn sie machte sich immer Sorgen, wenn Idgie länger als eine Woche unterwegs war – und ganz besonders, wenn sie unten am Fluss mit Eva Bates zusammentraf.
Stump lief zur Hintertür. »Wo ist der Fisch?«
»Also, Stump«, erwiderte Idgie, »wir haben tatsächlich einen Fisch gefangen, und der war so groß, dass wir ihn nicht aus dem Wasser ziehen konnten. Aber wir fotografierten ihn, und allein schon das Bild wird zwanzig Pfund wiegen …«
»Oh Tante Idgie, ihr habt gar nichts gefangen!«
Da hörten sie eine Stimme. »Huuuhuuu! Wir sind’s! Ich und Albert! Wir wollen euch besuchen!« Eine große, hübsche Frau trat ein, das Haar zu einem Knoten geschlungen, begleitet von einem zurückgeliebenen kleinen Jungen. Die beiden erschienen so wie jeden Tag seit zehn Jahren und wurden immer erfreut begrüßt.
»Hallo!«, rief Idgie. »Wie geht’s euch heute, Mädchen?«
»Gut.« Ninny setzte sich. »Und was treibt ihr so?«
»Nun ja. Beinahe hätten wir zum Dinner Katzenfische bekommen«, erklärte Ruth. »Aber offenbar hat keiner angebissen.« Sie lachte. »Statt dessen werden wir ein Foto von einem Fisch kriegen.«
Ninny war enttäuscht. »Oh Idgie, ich wünschte, du hättest mir heute Abend einen Katzenfisch gebracht. Diesen Fisch liebe ich. Wie schade! Beinahe kann ich ihn schmecken …«
»Mitten im Winter beißen Katzenfische nicht an«, behauptete Idgie.
»Nicht? Man sollte meinen, sie wären im Winter genauso hungrig wie im Sommer.«
Ruth stimmte zu. »Das ist wahr, Idgie. Warum sollten sie um diese Jahreszeit nicht anbeißen?«
»Oh, natürlich sind sie hungrig, aber es liegt an der Temperatur des Köders. Katzenfische fressen keine kalten Würmer, ganz egal, wie hungrig sie sind.«
»Das ergibt einen gewissen Sinn«, meinte Ninny. »Ich mag’s auch nicht, wenn mein Essen kalt wird. Und selbst
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