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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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sein, vor allem an Flughäfen. Vielleicht sind das besondere Begegnungen für diese Menschen, an die sie sich noch Jahre später erinnern, während ich sie längst vergessen habe. Wie meine Mutter und der Radfahrer in Frankfurt.
    Am Tag zuvor hatte mein Vater am Flughafen in Bremen vergeblich auf meine Mutter gewartet. Ein Kollege, Horst Meyer, der als Schiffskoch arbeitete, hatte ihm angeboten, vorerst im Haus der Eltern seiner Frau Karin unterzukommen: bei Mariechen und Erich Koch in Rastede, ein paar Kilometer nördlich von Oldenburg. Mein Vater hatte das Angebot dankend angenommen. Doch keine Spur von meiner Mutter, stattdessen die Nachricht, dass die Maschine aus Pakistan einen Tag Verspätung hatte.
    Am 24. September wartete mein Vater erneut am Bremer Flughafen, und diesmal war die Maschine pünktlich. Meine Eltern trafen sich nach zwei Monaten wieder: ein Mann und eine Frau, die seit acht Monaten miteinander verheiratet waren, sich in dieser Zeit aber bis auf die ersten Wochen nach der Hochzeit und die drei Monate gemeinsamer Schiffsreise nicht gesehen hatten.
    Auf nach Rastede! Was für eine schöne Fahrt, meine Mutter war begeistert: »Obwohl es Herbst war, war die Landschaft so grün. Die ganze Strecke über sah ich Felder und grüne Wiesen, auf denen Kühe herumstanden. Kühe, die wie in Bilderbüchern schwarzweiß oder braunweiß gefleckt waren und viel gesünder aussahen als die schmutzigen, abgemagerten, Müll fressenden Kühe in den Straßen von Karatschi. Und kein einziger Bettler!«
    Bisher kannte sie nur diese Stadt mit ihren Millionen von Menschen, zerfallene Häuser wie Steinbrüche neben abgeriegelten Villenvierteln, Bettler und verkrüppelte Menschen auf den Straßen, den Staub und den Schmutz, knatternde Motorrikschas, die schwarze Rauchwolken hinter sich herzogen. Außerdem hatte sie bei Fahrten entlang des Stadtrands von Karatschi, an heruntergekommenen Dörfern vorbei, eine Ahnung vom ländlichen Pakistan bekommen.
    »Aber so etwas wie der Weg nach Rastede, das war völlig neu für mich.« Jetzt war sie plötzlich in einer ganz anderen Welt: keine brennenden Müllberge, keine Schlaglöcher, keine streunenden Köter, stattdessen manikürte Gärten mit millimetergenau angeordneten Blumenarrangements, umgeben von Grasflächen, so gleichmäßig wie ein Teppich.
    »Ich fand es sehr, sehr schön«, beschreibt meine Mutter ihre erste Autofahrt in Deutschland.
    Und alles war so bemerkenswert still: kein Gehupe, kein Geschrei. Statt einer Mischung aus Abgasschwaden, Gewürzwolken und üblem Kloakengestank lag der Geruch von Kuhdung in der Luft, der ihr auf andere Weise die Besinnung raubte.
    Meine Eltern lernten den Spruch: »Landluft ist gesund.«
    »Hattest du kein Heimweh?«, frage ich sie.
    »Überhaupt nicht«, sagt meine Mutter. »Damals nicht. Das kam erst viel später, für kurze Momente.«
    »Nie«, erklärt auch mein Vater, der ohnehin selten lange an einem Ort in der Welt blieb, sondern per Schiff die Erde erkundete.
    Meine Mutter lernte Mariechen und Erich Koch kennen, eine Frau mit dichtem, schon weißem Haar, immer wie aus dem Ei gepellt, und einen hochgewachsenen, kräftigen Mann mit auf der Seite gescheiteltem, weißem Haar und Händen groß wie Schaufeln. Die beiden schlossen die junge Frau aus Pakistan sofort ins Herz.
    Und da meine Mutter mitbekam, wie Karin »Mutti« und »Vati« zu ihnen sagte, tat sie es ihr gleich.
    Mariechen freute sich: »Ja, sag Mutti zu mir.«
    Sie zeigte auf ihren Mann.
    »Und das ist Vati.«
    Sie zeigte auf sich.
    »Mut-ti.«
    Finger auf Erich.
    »Va-ti.«
    Und so wurde dieses Paar zu Mutti und Vati für meine Eltern – und später zu Omi und Opi für mich. Sie wurden eine Art Großelternersatz. Zwei weitere sollten im Laufe meines Lebens noch dazukommen. Wahlverwandte.
    Heute mutet es seltsam an, dass Menschen ein fremdes Paar aus einem fernen Land aufnehmen, und zwar bedingungslos, nicht wissend, wie lange die Gäste bleiben werden. Es sollten mehrere Monate werden. Omi und Opi haben niemals Miete von meinen Eltern verlangt, niemals einen Pfennig für Essen und Trinken, fragten nie, wann sie sich denn endlich eine eigene Wohnung nehmen würden. Sie gaben, ohne zu fordern – so wie man seinen Kindern gibt. Sie leben seit einigen Jahren nicht mehr, ich würde ihnen heute gern noch einmal sagen, wie großartig ich das finde. Sie verlangten nur, dass meine Eltern am Familienleben teilnahmen, an den gemeinsamen Mahlzeiten und an Besuchen bei diversen

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