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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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weiß.
    Telefonieren kostete noch ein Vermögen, man unterschied zwischen Orts-, Regional- und Ferngesprächen und für ein längeres Telefonat nach Pakistan musste man zuvor fast schon einen Termin bei seinem Bankberater ausmachen, um über einen Kredit zu reden. Da wir kein Telefon besaßen, rief meine Mutter nur selten bei den Verwandten an, und zwar aus einer Telefonzelle, die Taschen voller Münzen. Meinen Vater konnte sie auf seinem Schiff nicht erreichen, dafür meldete er sich regelmäßig: Er wählte einfach die Nummer von Otti.
    Ende Februar 1975 war er wieder zu Hause, in ein paar Tagen begann die Seefahrtschule in Grünendeich. Für die täglichen Fahrten dorthin kaufte er sich ein Mofa. »Das war so ein Ding mit einem kleinen Motor am Vorderrad«, erinnert sich mein Vater. »Zum Starten musste man es wie ein Fahrrad treten und dann, wenn es Fahrt aufgenommen hatte, den Motor anwerfen.«
    Zwei Polizisten staunten nicht schlecht, als sie sahen, wie eines Tages die gesamte Familie Kazim auf diesem Mofa die Hollernstraße entlangknatterte: Mein Vater fuhr, meine Mutter saß hinter ihm, dazwischen hatten sie mich, das Baby, geklemmt – alle ohne Helm. »Damals gab es noch keine Helmpflicht, aber die fanden das natürlich trotzdem nicht gut«, sagt mein Vater. Er hatte komplett vergessen, dass er nicht in Indien oder Pakistan unterwegs war, wo es üblich war – und übrigens immer noch ist –, dass eine ganze Familie sich auf einem motorisierten Zweirad fortbewegt. Dort hätten sogar noch ein bis zwei weitere Personen auf das Gefährt gepasst.
    Zu gern wüsste ich, was die Polizisten dachten. Ob sie uns für verrückt hielten?
    Sie stoppten uns. »So geht das aber nicht, junger Freund«, ermahnte einer der beiden meinen Vater. Sie kontrollierten seine Papiere, aber es blieb bei einer Verwarnung. Und mein Vater verzichtete fortan darauf, seine Familie auf dem Mofa herumzukutschieren. Ein Auto musste her.
    Das erste eigene Auto seines Lebens kaufte er von einem Kollegen, der mit ihm am Lehrgang in Grünendeich teilnahm: einen uralten weißen VW Käfer für nur fünfzig Mark. Leider gab der kurze Zeit später den Geist auf, weil mein Vater auf unebener Straße mit der Ölwanne aufgesetzt hatte – der Wagen verlor Öl, mein Vater fuhr weiter, nach ein paar Kilometern qualmte der Motor. Der Hollerner Autohändler machte ihm klar, dass der Käfer kaum noch zu retten sei, und verkaufte ihm einen rundlichen, himmelblauen Kombi, einen VW Passat Variant. Er gefiel meiner Mutter nicht. »Was hast du dir da andrehen lassen?«, schimpfte sie.
    Ich weiß nicht, ob auch dieses Gefährt nicht allzu lange hielt oder ob es einfach die Unzufriedenheit war, jedenfalls kaufte mein Vater 1976 das dritte Auto: wieder gebraucht, wieder beim Händler in Hollern, dem einzigen, den es im Ort gab. Diesmal war es ein Käfer in Orange.
    Es sind vergilbte Bilder, die ich aus dieser Zeit kenne. Fotos, über die sich ein braun-gelb-oranger Schleier gelegt hat, was aber nicht weiter stört, weil die Farben zu den Siebzigerjahren passen. Knatternde Erinnerungen, die mein Vater mit seiner Super- 8-Kamera gefilmt hat. Wie ich im gelben Strampler am Steuer des Kombis sitze. Wie ich um den orangen Käfer laufe. Ein kleiner Junge im Matrosenanzug. Mein Go-Cart. Mein erster Geburtstag im Oktober, Otti, die mich auf dem Arm hält, Gisela mit ihren Töchtern, unser Vermieter Peter Cordes mit seiner Frau Senta, Freunde aus Stade, auf dem Tisch ein Kuchen in der Form einer Eins.
    Während es uns also gut ging, sorgten sich die Verwandten um uns. Wie wir wohl in Deutschland lebten? Ob es an etwas fehlte? Wie meine Eltern in der Fremde zurechtkamen? Und warum riefen wir nur so selten an? Wann endlich bekamen wir einen Telefonanschluss? Wie entwickelte sich das Kind?
    Mitte März, wir waren seit zehn Wochen in Hollern, reiste mein Großvater Kazim Ali Khan nach Deutschland, um nach dem Rechten zu sehen. Er muss damals schon über achtzig Jahre alt gewesen sein. Mein Vater wollte ihn vom Flughafen in Hamburg abholen und hatte sich mit dem weißen Käfer auf den einstündigen Weg gemacht. Doch am Flughafen traf er seinen Vater nicht an, obwohl das Flugzeug laut Anzeigetafel längst gelandet war.
    Mein Großvater hatte sich kurzerhand in ein Taxi gesetzt. Meine Mutter erzählt: »Ich war zu Hause geblieben und wartete nun auf die beiden. Plötzlich höre ich draußen Rufe auf Urdu: ›Ist da jemand? Ist jemand zu Hause?‹«
    Kazim Ali Khan war in

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