Gruenkohl und Curry
Seemannes aus Pakistan ist zudem kein Einzelfall. Ein Aufenthalt in der Bundesrepublik oder sogar die deutsche Staatsbürgerschaft steht vornehmlich in außereuropäischen Ländern hoch im Kurs.
Nicht zuletzt aus diesem Grund hat der Gesetzgeber für klar umrissene Vorschriften gesorgt. Es gibt damit auch für Hasan Kazim
keine Ausnahme. Dazu noch einmal Oberamtsrat Wiederspahn: »Er war nur für die Dauer des Besuches der Seefahrtschule Grünendeich im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die für diesen Zeitraum einen dauernden Aufenthalt an Land gestattete. Jetzt leistet er die für das Kapitänspatent erforderlichen Fahrenszeiten ab. Die von der Ausländerbehörde Hamburg erteilte Aufenthaltserlaubnis berechtigt aber nur zur Berufsausbildung in der deutschen Seefahrt. Ein Daueraufenthalt an Land ist nicht gestattet. Somit kann auch der Ehefrau kein Dauerwohnrecht im Rahmen der Familienzusammenführung genehmigt werden.«
Zumal Hasan Kazim nach Beendigung seiner Ausbildung ohnehin verpflichtet ist, nach Pakistan zurückzukehren. Auch hier gibt es klare gesetzliche Vorschriften. Staatsangehörigen außereuropäischer Staaten ist grundsätzlich die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zu gestatten.
Was für eine miserable Lage: Unser Schicksal hing davon ab, wie Beamte die Gesetze auslegten. Wäre ich heute in so einer Situation, würde ich schleunigst meine Sachen packen und mich verabschieden. Wozu bleiben, wenn man unerwünscht ist? Welcher Ort kann schon so schön sein, dass es sich lohnt, einen zermürbenden Kampf mit den Behörden aufzunehmen?
Hollern-Twielenfleth.
Meine Eltern profitierten außerdem von ihrer südasiatischen Mentalität: Irgendwie wird’s schon werden, Inschallah. Sie richteten sich in ihrer Zweizimmerwohnung ein und organisierten ein schönes Weihnachtsfest. Otti steuerte wieder den Tannenbaum bei, ich bekam eine batteriebetriebene Eisenbahn, die Achten auf Plastikschienen fuhr; die Dampflok machte echten Qualm, an dessen Geruch ich mich heute noch erinnere.
Das Problem mit der Aufenthaltserlaubnis löste sich vorerst wie von selbst: Meine Mutter wurde wieder schwanger, unser Hausarzt Heinz Gosch attestierte ihr eine Risikoschwangerschaft. Damit durfte sie vorerst nicht ausgewiesen werden. Und ich auch nicht.
Es war kein Plan zur Verhinderung einer Ausweisung, sondern schlicht Zufall, betonen meine Eltern noch heute. Sie wollten immer zwei Kinder haben, höchstens im Abstand von vier Jahren. Genau das war jetzt der Fall.
Meine Mutter fuhr zur Ausländerbehörde zu jenem Beamten mit dem buschigen Schnurrbart, der sie vor mehr als einem Jahr zur Ausreise nach Pakistan gezwungen hatte. »Sachbearbeiter für das Ausländerwesen« war er. Sie legte ihm das Attest vor, in dem die Formulierung
»nicht reisefähig«
stand.
»Unerhört«, murmelte der Mann in seinen Schnurrbart. »Sie haben die Schwangerschaft doch nur herbeigeführt, um in Deutschland bleiben zu können.«
Meine Mutter, die zu diesem Zeitpunkt kaum Deutsch sprach, verstand nicht, was sie gehört hatte – sie merkte sich nur diese ungelenke Formulierung und berichtete ihren Freunden davon. Die waren empört. »Eine Beleidigung ist das!«, schimpfte einer.
Doktor Gosch war besonders erzürnt. Er ließ sich von meinen Eltern ihre ganze Geschichte erzählen, hörte, dass sie schon einmal in Deutschland gelebt hatten, nun wiedergekommen waren, um möglichst dauerhaft zu bleiben, erfuhr von den Schwierigkeiten mit den Behörden. Er überlegte sich seine eigene Strategie.
Mürrisch stempelte der Beamte meiner Mutter eine neue Aufenthaltsgenehmigung in den Pass – gültig bis zum 24. Juli 1978, obwohl der Geburtstermin für Mitte August vorhergesagt war. Sollte diese Frau doch ihr Kind in Pakistan kriegen!
»Gilt nur bis zu der Wiederherstellung der Reisefähigkeit«
, trug er ein, damit eine Möglichkeit offenblieb, sie sogar noch vor diesem Termin abzuschieben. Wieder musste meine Mutter zahlen: dreißig Mark für maximal vier Monate.
Wir blieben.
Kurz vor Ablauf der Frist stellte der Hausarzt ihr ein neues Attest aus: immer noch nicht reisefähig. Wieder stempelte der Beamte, spürbar verärgert, eine Verlängerung in ihren Pass. Wieder kritzelte er handschriftlich dazu, dass diese Genehmigung nur gelte, bis meine Mutter reisefähig sei – maximal bis zum 24. November 1978. Bis dahin wäre das Kind ja auf der Welt und einer Ausreise stünde nichts mehr im Wege. Und wieder kassierte er dreißig Mark.
Am 10. August 1978
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