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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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wurde meine Schwester im Stader Krankenhaus geboren. Meine Eltern nannten sie Zahra, wie die älteste Schwester meines Vaters. Ein Zweitname blieb ihr erspart.
    Ich war alles andere als glücklich. Nun war es vorbei mit der ungeteilten Aufmerksamkeit meiner Eltern. Was sollte ich mit einer Schwester anfangen? Mein Vater kaufte mir am Tag der Geburt eine blaue Schaufel für meine Sandkiste. Vom Spielzeugladen aus gingen wir ins Krankenhaus, ich sollte Zahra das erste Mal zu Gesicht bekommen. Hinter einer Glaswand standen mehrere Kinderbetten, mein Vater nahm mich auf den Arm, damit ich die Armee an Neugeborenen betrachten konnte. Eine Krankenschwester betrat den Raum hinter der Glasscheibe, schritt zu einem Bettchen in der Mitte und hob daraus ein schwarz behaartes Baby in die Höhe. Die Krankenschwester grinste. Mein Vater grinste. Wahrscheinlich grinste auch meine Mutter, die in ihrem Krankenzimmer lag und sich von den Strapazen der Geburt erholte. Ich hing auf dem Arm meines Vaters und betrachtete meine neue Schaufel. Dann guckte ich mir dieses Baby an. Alles klar, meine Schwester war also ein knautschiges, haariges Bündel. Und nun?
    So lief das damals im Krankenhaus: bloß keinen Kontakt mit dem Neugeborenen, es könnte Keime, Viren, Bakterien abbekommen! Wahrscheinlich war auch das eine
klare gesetzliche Vorschrift
. Säuglinge wurden in sterile Kämmerchen verbannt, wo selbst ihre Mütter nicht ohne Weiteres hinkamen, und wahrscheinlich erst
nach gesetzlich vorgeschriebener Frist
und
Herbeiführung einer ärztlichen Freigabe
den sehnsüchtigen Eltern übergeben.
    Zu Hause stellte ich abends an diesem Tag meine Schaufel in die Ecke und klingelte bei Otti. Ich hatte mir vorgenommen, meine Schwester loszuwerden.
    »Otti?«
    »Ja, mein Schatz?«
    »Du hast doch keine Kinder, oder?«
    »Nein, mein Schatz, aber ich hab ja dich und jetzt auch deine Schwester.«
    »Willst du nicht Zahra haben?«, fragte ich sie.
    Otti verkniff sich ein Lachen, wie sie mir Jahre später gestand.
    Allzu gerne hätte ich meine Schwester gegen ein Tretauto oder ein Fahrrad eingetauscht. Ich bot sie mehreren Nachbarn an, aber niemand ging auf meinen Geschäftsvorschlag ein. Wohl oder übel fügte ich mich meinem Schicksal. Ich war knapp vier. Noch nicht geschäftsfähig.
    Im Nachhinein tut mir das natürlich leid. Nicht nur, weil sie meine Schwester ist, sondern auch, weil sie als Kleinkind sehr kränklich war und wir dank ihrer permanenten Erkältung und ihrer immer wieder auftretenden schlimmen Bauchschmerzen, was sich später als Störung der Bauchspeicheldrüse herausstellte, nicht abgeschoben werden durften. Ihre Krankheit war ein unfreiwilliges Opfer für die Familie: Unser Arzt bescheinigte ihr, dass sie nicht reisefähig war. Ohne meine Schwester wären wir sicher nicht in Deutschland geblieben. Mir ist das erst klar, seitdem ich die Papiere vom Dachboden meiner Eltern durchforstet und dort auch die Atteste gefunden habe.
    Es ging deshalb weiter wie bisher: Eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis folgte der nächsten. Wir durften bis zum 24. Februar 1979, dann bis zum 30. Juni bleiben, schließlich trug uns der Schnurrbartträger den 31. März 1980 als Frist in den Pass. Und jedes Mal schrieb er dazu:
»Gilt nur bis zur Wiederherstellung der Reisefähigkeit des Kindes Zahra Kazim.«
    Der Artikelschreiber vom ›Stader Tageblatt‹ hatte zu sehr auf das vertraut, was ihm die Ausländerbehörde gesteckt hatte.
Der Weihnachtswunsch von Vater Hasan Kazim wird mit Sicherheit ein Wunsch bleiben.
    Von wegen. Wir blieben. Aber die Sorge vor einem Ende unserer Zeit in Deutschland blieb die Konstante im Leben meiner Eltern.
    Sie stellten einen Antrag auf Aufenthaltsberechtigung in Deutschland. Eine Aufenthaltsberechtigung war eine Genehmigung zum dauerhaften Aufenthalt in Deutschland, während eine Aufenthaltserlaubnis an eine Frist oder an einen Zweck wie zum Beispiel eine Ausbildung gebunden ist. Mit diesem Antrag machten sie nun erstmals deutlich: Wir wollen für immer bleiben.
    Zwei Jahre nach dem Artikel im ›Stader Tageblatt‹ erschien wieder eine Geschichte über uns, diesmal auf der Titelseite des wöchentlich erscheinenden Anzeigenblattes ›Neue Stader‹.
    »Familie Kazim möchte bleiben – Die Gesetze stehen dagegen«
, lautete die Überschrift.
    Diesmal war kein Bild von uns, sondern von Ordnungsamtschef Heinz Wiederspahn zu sehen, sein Zitat unter dem Foto:
»Die Ausländergesetze sind nun mal so.«
    Auch der Verfasser

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