Gruenkohl und Curry
Siebziger-Jahre-Design steht heute noch funktionstüchtig in einem pakistanischen Wohnzimmer.
Als mein Vater mit seinem Schiff in Hamburg festmachte, rief er, eher aus einer Laune heraus, bei Peter Cordes an, um zu fragen, ob eine der vier Wohnungen in unserem alten Haus frei sei – und war überglücklich zu hören, dass unsere alte Dachgeschosswohnung noch unbewohnt war. »Die hat keiner gemietet, seit ihr weg seid.« Mich würde nicht wundern, wenn Hollern-Twielenfleth in den eineinhalb Jahren, in denen wir in Pakistan gelebt haben, keinen einzigen Neuzugang bekommen hätte.
Mein Vater sagte sofort zu. Wir hatten unser Zuhause wieder!
Auch meine Mutter machte Luftsprünge, als sie diese Nachricht hörte. Sie wusste genau: Es ging zurück zu den alten Nachbarn, zu den alten Freunden und zum großen Garten, in dem ich herumtoben konnte. »Wir fahren, Inschallah, zu Peter«, sagte sie mir. An unseren Vermieter Peter Cordes habe ich als Kind in Pakistan immer gedacht, wenn nachts ein pfeifender Wachmann durch die Straßen ging, ein alter Mann, den die Bewohner des Viertels bezahlten, damit er mit seinem Bambusstock seine Runden drehte. Auch Peter pfiff gerne und laut, wenn er auf dem Hof seiner Baufirma Sand oder Ziegelsteine verlud. »Und zu Otti und Marina und Sabine.«
Ich war betrübt und glücklich zugleich. Mir war sofort klar, dass ich meine lieb gewonnenen Verwandten verlassen würde. Aber Unbehagen bereitete mir, dass meine Mutter Inschallah gesagt hatte – »so Gott will«. So Gott wollte, sollten wir also nach Deutschland reisen. Ich war zwar noch ein kleines Kind, aber das hatte ich begriffen: Inschallah bedeutete fast immer: nie.
Im Koran steht in der achtzehnten Sure:
»Sage niemals: ›Ich werde morgen etwas tun‹ ohne den Zusatz ›Inschallah – so Gott will!‹ Du wirst dich an Gott erinnern, solltest du es vergessen.«
Meine Verwandten und meine muslimischen Freunde sagen permanent Inschallah.
»Morgen gehen wir chinesisch essen, Inschallah.«
»Inschallah, bald kommt Mohsin Chacha aus Texas zu Besuch.«
»Maheen wird, Inschallah, heiraten und viele Kinder bekommen.«
Als Kind und Jugendlicher bedeutete Inschallah für mich immer: Das kannst du dir abschminken. Es war ein Signalwort für Wahrscheinlichkeit gleich null.
»Fahren wir nach Stade zum Jahrmarkt?« – »Das machen wir morgen oder übermorgen, Inschallah.«
»Ich brauche einen Computer, kaufst du mir einen? Gerade gibt es einen im Angebot.« – »Inschallah, Inschallah.«
»Wann machen wir einen Ausflug nach Hamburg?« – »Inschallah, bald.«
Inschallah ist das Gegenteil von »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen«. Es bedeutet: Bloß keine Eile, Gott wird’s schon richten, verschiebe alles auf morgen, sag Inschallah und vergiss die Angelegenheit. Inschallah heißt: Was weiß ich, wann wir dieses oder jenes tun, vielleicht morgen, vielleicht in einem Jahr, vielleicht nie. Es kann auch bedeuten: Hör auf, mich mit deinen Wünschen zu nerven. Es ist eine höfliche Art, Nein zu sagen. Ein verpacktes Nein, sozusagen.
Und nein heißt in Südasien nicht immer nein, ja nicht immer ja. Was wann was heißt, erschließt sich aus dem Kontext. Es ist sehr kompliziert. Manche westliche Ausländer verstehen es nie und verzweifeln. Mit viel Übung kann man es aber lernen, Inschallah.
Wann immer meine Eltern dieses Wort benutzten, wurde ich wütend. Im Laufe der Jahre verschwand es aus ihrem Wortschatz.
Diesmal jedoch hatte das Inschallah keine aufschiebende Wirkung: Wir reisten am 25. November 1977 tatsächlich wieder nach Deutschland.
Als meine Mutter mit mir nach fünfzehn Monaten wieder nach Hollern kam, war alles so, wie sie es verlassen hatte. Meinen Eltern stand jetzt die längste und schwerste Prüfung ihres Lebens bevor.
Bi uns to Hus, im Olen Land
Es war ein eisiger Winter mit meterhohem Schnee, als wollte uns die Natur zeigen: So kann es hier zugehen im Norden Deutschlands. Na, doch lieber wieder zurück nach Karatschi, wo es schön heiß ist?
Der erste Weihnachtsschmuck hing schon in den Fenstern der Nachbarshäuser und diesmal zierte er ein paar Tage nach unserem Einzug in die Hollerner Wohnung auch unsere Fenster.
Die Nachbarn feierten unsere Rückkehr: Oma und Opa Truetsch waren glücklich, uns wiederzuhaben, und Otti hatte, sobald sie von meinem Vater von unserer Ankunft erfahren hatte, ein paar Lebensmittel eingekauft, damit wir für die ersten Tage versorgt waren. Die Namen unserer
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