Gruenkohl und Curry
Hollerner Freunde waren mir alle noch geläufig, meine Mutter hatte in den Monaten in Pakistan oft von ihnen erzählt. Die Gesichter aber waren für mich, den Dreijährigen, alle wieder neu.
Meine Eltern erzählten den Nachbarn, dass sie diesmal am liebsten für immer bleiben wollten, dass meine Mutter und ich aber nur ein Visum für vier Monate bekommen hätten.
»Und weshalb nur für vier Monate?«, fragten die.
»Keine Ahnung, es war schon schwer genug, überhaupt eins zu erhalten.« Meine Mutter berichtete von den Versuchen, beim Generalkonsulat in Karatschi ein Visum zu bekommen, und von dem Geld, das sie dort als Sicherheit hatte hinterlegen müssen. »Vier Monate waren das Maximum, worauf sie sich einließen.«
Nur drei Wochen nach unserer Rückkehr, am 13. Dezember 1977, erschien im ›Stader Tageblatt‹ ein Artikel über uns:
»Ausländergesetze lassen keinen Spielraum mehr: Nach vier Monaten
wird die Familie Kazim wieder getrennt.«
Unser Drama war bis zur Lokalpresse durchgedrungen, im Dorf redete man seit Tagen darüber, wohl auch mangels anderer Themen. Der Artikel machte unser Schicksal endgültig im ganzen Ort bekannt.
Zwei Wochen vor Weihnachten erklärte die Ausländerbehörde dem ›Stader Tageblatt‹, dass es keine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für uns geben werde. Von wegen, die Behörden würden die Genehmigung verlängern, wenn meine Mutter sich »keiner Gesetzesübertretung oder sonstiger Verfehlung schuldig« mache, wie der Sachbearbeiter im Konsulat in Karatschi meiner Mutter noch Hoffnung gemacht hatte.
Ich fand diesen Artikel fast drei Jahrzehnte nach seiner Veröffentlichung in dem blauen Ordner vom Dachboden meiner Eltern zwischen den ganzen Behördenpapieren abgeheftet.
Kreis Stade (ST). Auf dem deutschen Konsulat in Karatschi mußten für den kleinen Hasnain Kazim und seine Mutter 10.000 Rupien hinterlegt werden, bevor sie in den Landkreis Stade reisen durften: Flugkosten für die Rückreise: denn in Deutschland dürfen die beiden nicht bleiben. Der Weihnachtswunsch von Vater Hasan Kazim wird mit Sicherheit ein Wunsch bleiben. Er wollte Sohn und Ehefrau zumindest für jene Zeit in seine Wohnung nach Hollern holen, in der er noch auf deutschen Schiffen zur See fährt. Wenigstens für eineinhalb Jahre, die er noch benötigt, bis er das Patent A I-Kapitän auf kleiner Fahrt ausgehändigt bekommt. Die dafür nötigen Prüfungen hat er bereits bestanden.
Ein zweispaltiges Foto bebildert die Geschichte auf der ersten Seite der Lokalnachrichten: Ich hocke auf dem Schoß meines Vaters und beiße in ein trockenes Brötchen. Mein Vater hat lange Haare und Koteletten, typisch Siebzigerjahre. Neben uns sitzt meine Mutter, ebenfalls ganz im Stil der Siebziger. Aufgenommen wurde das Bild in den Redaktionsräumen der Zeitung. Jemand aus Hollern hatte sie über unseren hoffnungslosen Fall informiert. Der Autor des Artikels hatte meine Eltern daraufhin zum Gespräch in sein Büro gebeten.
Ich las den Artikel, las ihn noch einmal, fand es merkwürdig, dass es da um uns ging, um unsere Zukunft. Dass da Fremde darüber entscheiden, wo wir zu leben beziehungsweise nicht zu leben haben. Der Artikel geht noch weiter, berichtet nunmehr distanziert über unsere Situation:
Daß er
[mein Vater]
seine junge Familie nachholen möchte, scheint auf den ersten Blick kein unbilliger Wunsch, dennoch bleibt er unerfüllbar. Das Ausländergesetz spricht dagegen und das Ordnungsamt des Kreises, für solche Fragen zuständig, kann im Falle Kazim nicht helfen. Dort hat man ohnehin die einschlägigen Vorschriften schon großzügig ausgelegt, als man die Ehefrau einreisen ließ.
Für die Beamten zählen solcher Art Probleme zum täglichen Brot. Zwar hat die Bundesrepublik eine denkbar großzügige Ausländergesetzgebung, aber auf persönliche Probleme der Betroffenen, mögen sie noch so verständlich sein, kann man nur sehr bedingt Rücksicht nehmen. Amtsleiter Heinz Wiederspahn: »Wir dürfen keine Präzedenzfälle schaffen und auch wenn es uns schwer fällt, gilt doch immer der Grundsatz der Gleichbehandlung.«
Im Falle Kazim heißt das im Klartext: die Ehefrau muß nach vier Monaten, wenn ihre Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, wieder nach Pakistan zurückfliegen. Hasan Kazim hat dann mehr als 5000 Mark dafür ausgegeben, daß Frau und Kind für vier Monate in Hollern leben durften. Eine Tatsache freilich, auf die die Beamten ihn vorher ausdrücklich hingewiesen haben. Die Geschichte des
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