Gruenkohl und Curry
leide an einer
»rezidivierenden chronischen spastischen Bronchitis«
und sei
»in absehbarer Zeit nicht reisefähig, so daß die Eltern mit dem Kind noch für längere Zeit am bisherigen Wohnort bleiben müssen«.
Ich weiß bis heute nicht, ob Gosch und Wessolowski sich abgesprochen hatten, ob sie sich überhaupt kannten, oder ob sie einfach nur der Regel folgten: Ein Arzt widerspricht dem anderen nicht, jedenfalls nicht auf Weisung eines Kommunalbeamten. Vielleicht war meine Schwester auch tatsächlich krank genug, um eine Abschiebung zu verhindern.
Jetzt blieb auch der Ausländerbehörde nichts anderes übrig, als die
Wiederherstellung der Reisefähigkeit des Kindes Zahra Kazim
abzuwarten – obwohl inzwischen die Bezirksregierung in Lüneburg gegen uns entschieden hatte. Ihrer Meinung nach hatte die Stader Behörde sich an die Verfahrensregeln gehalten und lediglich ihren Ermessensspielraum genutzt. Außerdem war sie der Ansicht, mein Vater habe sich
»nicht seit 1962 ständig in der Bundesrepublik aufgehalten. Bis zur Aufnahme der Ausbildung
[an der Seefahrtschule Grünendeich]
1975 ist er als Besatzungsmitglied eines deutschen Schiffes nur zum Landgang, nicht aber zur Erwerbstätigkeit oder Begründung eines Wohnsitzes berechtigt gewesen.«
Demnach hatten meine Eltern sich also illegal in Hollern niedergelassen. Die Bezirksregierung schrieb weiter:
»Die beiden 1974 und 1978 geborenen Kinder sind noch nicht in die hiesigen Lebensverhältnisse hineingewachsen, so daß sie sich in Pakistan unschwer wieder einleben könnten, zumal sich das älteste Kind bereits 1976 / 1977 dort aufgehalten hat.«
Als der Beamte uns nun trotzdem eine Verlängerung in den Pass stempeln musste, war er offensichtlich verwirrt – er vergaß, dass der September nur dreißig Tage hat, und schrieb uns als neue Frist den »31. September 1980« in die Dokumente. Meine Eltern hatten das Gefühl, er empfand das als persönliche Niederlage; spätestens seit sie mitbekommen hatten, dass in Stade lebende Inder, mit denen sie befreundet waren, problemlos die für einen Verbleib erforderlichen Papiere und Stempel von ihm erhielten, waren sie überzeugt, dass dieser Beamte einen privaten Feldzug gegen sie führte. Warum, konnten sie sich nicht erklären.
Für mich begann derweil der Ernst des Lebens: Meine Eltern meldeten mich im Kindergarten an. Sie waren davon überzeugt, dass es das Beste für mich wäre, dorthin zu gehen, anstatt zu Hause zu hocken. Der evangelische Kindergarten war in einem alten Gebäude am Ende einer Sackgasse in Twielenfleth untergebracht. Wenn jemals ein Auto dorthin kam, dann war es jemand, der sein Kind hinbringen oder abholen wollte. Dennoch mussten wir, wenn wir zum Spielplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite wollten, jedes Mal am Straßenrand stehen bleiben, nach links schauen, nach rechts, wieder nach links, und erst dann durften wir die Straße, die eher ein Weg war, überqueren. Das war unsere Verkehrsschulung.
Was links und rechts war, verstand ich, aber vieles andere offensichtlich nicht. Denn eines Tages kam die kleine Sabine Laurich zu uns und fragte meine Mutter: »Warum spricht Hansi so komisch Deutsch?«
Meine Mutter erstarrte.
»Hansi spricht komisch Deutsch?«
»Ja. Ganz komisch. Ich versteh den nich.«
Meine Mutter erklärte ihr, dass ich eine Zeit lang in einem anderen Land gelebt hätte und Deutsch daher für mich noch neu sei. Sabine gab sich mit dieser Erklärung zufrieden. Dass meine Mutter ähnlich merkwürdig wie ich sprach, war ihr anscheinend nicht bewusst. Vielleicht traute sie sich auch nur nicht, ihr das zu sagen.
Für meine Mutter war Sabines Bemerkung ein Schlüsselerlebnis. Ein vierjähriges Kind hatte ihr mit einer einfachen Frage deutlich gemacht, dass wir unbedingt die Sprache dieses Landes lernen mussten, um uns zu integrieren. Ihr Kind konnte nur dann vernünftig Deutsch lernen, wenn sie selbst ihre Sprachkenntnisse verbesserte und mit mir Deutsch anstatt Englisch und Urdu sprach. Sie meldete sich an der Volkshochschule zu einem Kurs an: Deutsch für Ausländer.
Ich erinnere mich tatsächlich an gewisse Sprachprobleme. »Du Arschloch!«, sagte einmal mein etwas ruppiger Freund Michael Stolle zu mir, der es Jahre später als Stabhochspringer bis zu den Olympischen Spielen bringen sollte.
»Mama, Arschloch
kja hai
?«, fragte ich am Nachmittag, als ich aus dem Kindergarten kam. Meine Mutter erklärte mir die Anatomie des Körpers und dabei beiläufig auch jenes
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