Grünmantel
Sandwich mit Erdnußbutter und Zwiebeln. Er konnte gerade noch einen Blick darauf werfen, ehe sie die beiden Hälften zusammenklappte. »Das willst du wirklich essen?«
»Sicher.«
»Na schön, ist ja dein Magen. Hier.«
Ali gefiel der Stock. Sein Griff war wie ein T geformt, und er hatte einen gefährlich aussehenden vier Inches langen Dorn am unteren Ende. Der obere Teil war mit Silberplaketten beschlagen. Sie sah sie sich genauer an und stellte fest, daß Burgen und Villen mit deutsch klingenden Namen darauf eingraviert waren.
»Ich habe ihn von einem Freund in Österreich geschenkt bekommen«, sagte Valenti. »Sie benutzen die Dinger zum Bergsteigen oder so was - ich weiß es nicht.«
»Er gefällt mir«, sagte Ali.
Valenti brachte sie zur Hintertür und sah ihr nach, bis sie den Waldrand erreichte. In diesem Moment läutete im Haus das Telefon. Er ging nach drinnen. Ali blieb stehen und schaute zum Haus zurück. Dabei schwang sie den Stock durch das hohe Gras und wirbelte ganze Wolken Löwenzahnsamen auf. Schließlich folgte sie dem Pfad in den Wald, schwang munter den Wanderstock und verzehrte ihr Sandwich.
Sie hatte den Wald heute ganz für sich und genoß dieses Gefühl. Es war ein schöner Tag, und die Sonnenstrahlen schimmerten hell durch die Baumwipfel. Sie lauschte den Finken, Sperlingen und Rotkehlchen in den Bäumen, sah Eichhörnchen davonhuschen und beobachtete die rotgefiederten Amseln am Bachufer. Ein herrlicher Tag, dachte sie und war kaum überrascht, Mally auf einem Fels beim Bach sitzen zu sehen. Offenbar wartete sie auf Ali.
»Hallo, Ali«, sagte das wilde Mädchen. »Suchst du nach Knochen?«
»Vielleicht. Aber ich will erst noch mit Lewis sprechen.«
»Lewis kennt nur Bücher und weiß nichts über Mysterien«, erklärte Mally.
»Trotzdem will ich mit ihm reden.«
Mally zuckte die Schultern. »Schön. Gehen wir. Ich zeige dir eine Abkürzung durch den Wald. Sie bringt uns direkt zu Lewis’ Hütte.«
»Es macht dir doch nichts, daß ich zuerst mit ihm reden will?«
»Warum sollte es mir etwas ausmachen? Ich habe Lewis gern. Er ist mein Freund - so wie du, wenn ich ihn auch länger kenne.«
»Aber ...«
»Freunde müssen ja nicht immer derselben Meinung sein.« Mally lächelte. »Komm, machen wir einen Wettlauf bis zu der Birke dort.«
»Das ist nicht fair. Du bist viel schneller als ich.«
»Gut, dann hüpfe ich nur - auf einem Bein.«
Ehe Ali etwas erwidern konnte, bog das wilde Mädchen ein Bein nach hinten, packte den Knöchel und hüpfte wie eine Irre auf den Baum zu. Lachend jagte Ali hinter ihr her, doch trotz ihrer Beeinträchtigung erreichte Mally den Baum als erste.
Valenti legte gerade den Hörer auf, als Frankie die Treppe herunterkam. Ihr Haar war zerzaust, und sie sah ziemlich verschlafen aus, fand aber trotzdem ein Lächeln für ihn. Sie trug ein unförmiges Sweatshirt und eine weite Baumwollhose. Für Valenti sah sie aus wie eine Schönheitskönigin.
»Ist noch Kaffee da?« fragte sie. »Ich habe ihn schon gerochen, als ich noch halb im Schlaf war.«
»Soviel Sie wollen«, erklärte Valenti. »Wie geht es Ihnen?«
Sie dachte einen Moment über seine Frage nach. »Gut«, meinte sie schließlich. »Erstaunlich gut sogar, wenn man die Umstände bedenkt. Ist Ali schon auf?«
»Ja. Sie macht einen Spaziergang im Wald hinterm Haus.«
»Kann ihr da nichts zustoßen?«
»Nein. Sie ist ein kluges Kind. Sie wird die Augen offenhalten. Sollte sich etwas tun, kommt sie sicher sofort zurück.«
»Ich wünschte, sie wäre nicht gegangen.«
»Keine Sorge, ihr wird schon nichts passieren.«
Frankie nickte. »Also gut, dann sind wir ja einen Moment unter uns. Ich wollte Sie um einen Gefallen bitten, Tony.«
»Und der wäre?«
»Ich möchte, daß Sie mir die Pistole geben, mit der der Kerl Tom gestern angeschossen hat. Es wäre schön, wenn Sie mir beibrächten, wie man sie benutzt.«
Valenti hatte mit allem gerechnet, nur damit nicht.
»Ist das so überraschend nach allem, was ich durchgemacht habe?« fragte Frankie.
»Aber Sie können nicht damit umgehen; außerdem haben Sie keinen Waffenschein. Wenn Sie den Kerl erschossen hätten, der Sie gestern überfiel, säßen Sie jetzt ganz schön in der Klemme.«
»Sehen Sie mich an«, befahl Frankie. »Ich bin weder Earl noch diesem Kerl körperlich gewachsen. Aber ich werde auf keinen Fall mehr ein Opfer sein. Welche Wahl bleibt mir also?«
»Sicher. Aber das Gesetz ...«
»Erzählen Sie mir nichts von Gesetzen,
Weitere Kostenlose Bücher