Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
gegründet hatten. Nein, mich alten Mann – ich war immerhin sechzig – haben die da nicht haben wollen.
Die Lotte hat sich überhaupt als ziemlich schäbig herausgestellt, nachdem meine Frau doch im Oktober gestorben war. Die ist
einfach mit den Kindern in der Stadt umhergezogen, erst bei ihren Verwandten, dann bei dieser Hure Margret, dann bei Bekannten,
nur um nicht evakuiert zu werden, und warum nicht? Weil sie aufs Plündern aus war und genau gewußt hat, wo die Wehrmachtsmagazine
waren. Da hat man den guten Opa natürlich nicht gerufen, als das Lager in der Nähe des früheren Karmeliterinnenklosters geplündert
wurde. Nein, da hat man mit Karren und säckeweise, mit alten Fahrrädern und ausgedienten Autos, die ausgebrannt auf der Straße
standen, aber mit der Hand noch irgendwie zu bewegen waren, hat man Eier und Butter, Speck und Zigaretten, |307| Kaffee und Klamotten geplündert – und so gierig waren sie, daß sie auf der Straße in den Deckeln von Gasmaskenbüchsen sich
Spiegeleier gemacht haben; und Schnaps und was sie wollten – regelrechte Orgien wie bei der Französischen Revolution und die
Weiber vorneweg, unsere Lotte wie ne Megäre voran! Regelrechte Gefechte hats gegeben – es waren doch noch deutsche Soldaten
in der Stadt. Ich habe das später alles erfahren und war froh, daß ich früh genug aus dieser Wohnung weggezogen bin, wos ja
dann bald wie in einem Bordell zuging, als sie aus ihrem Sowjetparadiese in den Grüften herausmußten und Hubert mit der Lotte
sein Verhältnis anfing. Sie hätten die Lotte nicht wiedererkannt, sie war ja immer ne bittere, spröde Frau, sarkastisch und
mit einer scharfen Zunge, aber die war reinweg außer sich, wie verwandelt. Ihre sozialistischen Muckserein während des Krieges
haben wir ja geduldet, obwohls gefährlich für uns war, was sie damals manchmal von sich gab, und daß sie unseren Sohn Wilhelm
in diesen roten Unsinn reingezogen hat, das hat weh getan, haben wir ihr aber verziehen, schließlich war sie doch eine ordentliche,
pflichtbewußte Frau und Mutter, aber dann, dann hat die wohl schon am 5. März geglaubt, der Sozialismus wäre ausgebrochen
und alles würde verteilt, mobiler und immobiler Besitz, alles. Die hat tatsächlich eine Zeitlang die Leitung des Wohnungsamtes
gehabt, zuerst einfach usurpiert, weil ja ihre Behörde geflohen war, und dann legal, weil sie ja nun mal wirklich keine Faschistin
gewesen war, aber es genügt eben nicht, kein Faschist gewesen zu sein. Ein Jahr lang hat sie immerhin regiert und schlankweg
Leute in leerstehende Villen eingewiesen, Leute, die kaum wußten, wie man mit einem Klo mit Wasserspülung umgehen muß und
die in der Badewanne Wäsche gewaschen, Karpfen gezüchtet und Rübenkraut im Badezimmer hergestellt haben. Man hat tatsächlich
halbe Badewannen voll Rübenkraut da gefunden. |308| Nun, diese Verwechslung von Sozialismus und Demokratie hat ja zum Glück nicht lange gedauert, und sie ist ganz hübsch wieder
geworden, was sie war: eine kleine Angestellte. Aber damals an den Tagen des großen Plünderns hat sie doch mit denen allen
da in ihrem Grüfteparadies gehockt, mit den Kindern, und obwohl sie wußte, wo ich wohnte, genau wußte, mir hat sie keinen
Ton gesagt. Nein, von Dank kann man da bestimmt nicht sprechen, und wenn Sies genau besehen, verdankt die uns doch sogar ihr
Leben. Wir hätten nur einen Ton, einen Ton weiterzugeben brauchen, von dem, was sie über den Krieg und die Kriegsziele sagte,
nur das Wörtchen ›Stöz‹, und sie hätte schön dringesessen, im Gefängnis oder KZ, vielleicht am Galgen gehangen – und dann
das.«
Vielleicht interessiert es noch irgend jemand, zu erfahren, daß B. H. T. mit seinen, von Rahel inspirierten, Urin-Manipulationen
nicht gerade scheiterte, sie waren bis zuletzt von Erfolg, nur – sie nutzten ihm nichts mehr: er wurde Ende September 44 zu
einem Magen-Bataillon eingezogen, ungeachtet der Tatsache, daß Magengeschwüre eine andere Diät erfordern als eine Diabetes;
B. H. T. nahm noch an Kämpfen teil: Ardennenoffensive, Hürtgenwald, geriet in der Nähe eines Ortes namens Würselen in amerikanische
Kriegsgefangenschaft, und es ist nicht ausgeschlossen, daß er »Schulter an Schulter« mit dem in einen Keiper verwandelten
Schlömer »gekämpft« hat. Jedenfalls, B. H. T. erlebte das Kriegsende in einem amerikanischen Gefangenenlager in der Nähe von
Reims, in der »Gesellschaft von etwa
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