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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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ihren
     Willen und ohne zu wissen, was ihnen blühte, einfach verpackt und zu Väterchen Stalin heimgeschickt, und er hatte ja von der
     Margret ein deutsches Soldbuch auf den Namen Alfred Bullhorst, aber ein vierundzwanzigjähriger, gesunder Deutscher, der nur
     ein bißchen unterernährt war, wissen Sie, was dem blühte? Sinzig oder Wickrath – und das wollten wir ja auch nicht. Das war
     auch keine Lebensversicherung, wissen Sie. Er blieb ja auch meistens im Haus, und Sie hätten sehen sollen, wie die beiden
     mit ihrem Söhnchen da hausten: wie die Heilige Familie. Er war doch nicht davon abzubringen, daß man eine Frau drei Monate
     nach der Entbindung nicht anfassen darf und auch vom sechsten Monat an nicht – die haben doch ein halbes Jahr wie Maria und
     Joseph miteinander gelebt und natürlich hin und wieder mal nen Kuß, aber sonst nichts wie das Kind! Gehätschelt, verwöhnt,
     und beide haben sie ihm Lieder vorgesungen und sind dann aber ein bißchen zu früh, schon im Juni 45, abends am Rhein spazierengegangen,
     bis zur Sperrstunde natürlich. Wir alle haben sie gewarnt, |314| alle, Hubert und ich und Margret, aber die waren nicht zu halten: jeden Abend am Rhein. Das war ja auch herrlich, da sind
     Hubert und ich oft mitgegangen, und wir haben alle dagesessen und was gespürt, was wir doch eigentlich seit zwölf Jahren nicht
     mehr kannten: Frieden. Kein Schiff auf dem Rhein, alles noch voller Wracks und die Brücken kaputt – nur ein paar Fähren und
     die amerikanische Armeebrücke –, manchmal, wissen Sie, denke ich, am besten hätte man gar keine Brücken mehr über den Rhein
     gebaut und den deutschen Westen endgültig den deutschen Westen sein lassen. Nun, es ist anders gekommen – anders auch mit
     Boris; eines Abends im Juni ist er eben doch von einer amerikanischen Militärstreife geschnappt worden, und er hatte blöderweise
     das deutsche Soldbuch in der Tasche, und da gabs nichts: da halfen meine amerikanischen Offiziere nichts, und Margrets amerikanische
     Freunde halfen nichts, und es half nichts, daß ich sogar zum Stadtkommandanten ging und ihm die ganze komplizierte Geschichte
     von Boris erzählte: Boris war weg, und zunächst sah es ja auch gar nicht schlimm aus: da war er eben in amerikanischer Gefangenschaft
     und würde als Alfred Bullhorst heimkehren – wenn er schon nicht in die Sowjetunion wollte. Natürlich wars kein Paradies, so
     ein amerikanisches Lager – was wir nicht wußten: daß die Amerikaner im Sommer anfingen, deutsche Gefangene an die Franzosen,
     nun, sagen wir, abzugeben – vielleicht könnte man sagen: zu verkaufen, denn sie ließen sich die Verpflegungs- und Unterbringungskosten
     in Dollars erstatten –, und daß Boris auf diese Weise in ein lothringisches Bergwerk geriet, wo er doch so geschwächt war
     – wirklich, der Junge war ja, dank Leni, oder sagen wir: dank Lenis Hypothek, nicht gerade verhungert, aber auch nicht sehr
     stark – und nun – da hätten Sie Leni sehen sollen: die ist sofort mit einem alten Fahrrad los. Sie ist über alle Zonen-, sogar
     über alle Landesgrenzen |315| gekommen, in die französische Zone, ins Saargebiet, nach Belgien rein, wieder zurück ins Saargebiet, von da nach Lothringen,
     von Lager zu Lager und hat bei den Kommandanten nach ihrem Alfred Bullhorst gefragt, um ihn gebettelt hat sie, mutig und zäh,
     sage ich Ihnen, die wußte nicht, daß es in Europa wahrscheinlich fünfzehn oder zwanzig Millionen deutsche Kriegsgefangene
     gab; die war bis November mit ihrem Fahrrad unterwegs, kam zwischendurch mal nach Hause, um ihre Vorräte aufzufüllen – und
     wieder los. Ich weiß bis heute nicht, wie sies geschafft hat, über all die Grenzen und zurück zu kommen, mit ihrem deutschen
     Ausweis, sie hats uns auch nie erzählt. Nur die Lieder hat sie uns manchmal vorgesungen, hat sie dem Jungen immer wieder und
     wieder vorgesungen: ›Am Heiligen Abend heut, sitzen wir, die armen Leut, in einer kalten Stube drin, der Wind geht draußen
     und geht herin, komm, lieber Herr Jesu, zu uns, sieh an: weil wir dich wahrhaftig nötig han‹ nun, was die so alles sang: da
     kamen einem die Tränen. Die ist ein paarmal quer durch die Eifel und rüber durch die Ardennen und wieder zurück, von Sinzig
     nach Namur, von Namur nach Reims und wieder nach Metz und wieder nach Saarbrücken. Das war ja nicht gerade eine todsichere
     Lebensversicherung, mit einem deutschen Ausweis, sich in dieser Ecke Europas rumzutreiben. – Nun, was

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