Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
200 000 deutschen Soldaten aller Ränge, und ich kann Ihnen sagen, erfreulich war das
nicht, weder was die Gesellschaft noch was die Versorgungslage anbetrifft, vor allem, was die, wenn Sie mir den Ausdruck gestatten,
Aussicht auf weibliche Gesellschaft betrifft – es war schon schlimm«. (Eine Bemerkung, die |309| den Verf. überraschte. Er hatte B. H. T. für sexuell neutral gehalten.)
M. v. D. über Gruytens Schicksal zu befragen, erschien dem Verf. zwar heikel; um der Sachlichkeit willen unternahm er ein
paar vorsichtige Versuche, sie endeten in Beschimpfungen von Lotte, auf die sich offenbar wegen »gewisser Ereignisse« M. v.
D.s Eifersucht richtete. »Ich war ja einfach noch nicht zurück, als er heimkam, sonst, da bin ich ganz sicher, hätte er den
Trost, den sie ihm dann anbot, bei mir gesucht und gefunden, obwohl ich dreizehn Jahre älter bin als sie. Aber ich war doch
nun über den Rhein geraten, fast würde ich sagen über die Wupper, und hockte in diesem westfälischen Nest, wo sie uns Rheinländer
als verwöhnt, verschleckt, als Pfefferlecker, als verdorben nicht gerade freundlich behandelten – und zu uns kamen die Amerikaner
ja erst Mitte April, und was glauben Sie, wie schwer, wie unmöglich es war, damals über den Rhein westwärts zu kommen. Ich
mußte also bis Mitte Mai dableiben, und Hubert kam schon Anfang Mai und ist offenbar gleich zu dieser Lotte ins Bett gekrochen.
Da war nun nichts mehr zu machen, als ich heimkam. Da wars zu spät.«
Lotte: »Manchmal geht es mir durcheinander, was die Zeit zwischen Februar und März 45 und dann die Zeit zwischen März 45 und
Anfang Mai betrifft. Es war zuviel, alles unüberschaubar, sogar, als wir drin waren. Natürlich habe ich in der Schnürergasse
beim alten Karmeliterinnenkloster geplündert, mitgenommen, was ich konnte, und ich habs damals schon vorgezogen, mich Pelzers
Hilfe zu bedienen und nicht der Hilfe meines Herrn Schwiegervaters. Was hatten wir alles für Probleme zu lösen! Ich mußte
doch auch aus der Wohnung weg, die einzige, die dort hätte hocken können, war Leni, aber die |310| war doch wenige Tage vor der Niederkunft, und wir konnten sie doch nicht allein lassen, wir zogen also zusammen in das, was
er das Sowjetparadies in den Grüften nennt. Das war ja nun raus, daß ein Russe der Vater ihres Kindes war, angegeben hatte
sie aber dummerweise einen anderen, weil sie schon ab September oder Oktober 44 die Mütterkarte bekam – das hat die Margret
eingefädelt, die ihr einfach den Namen eines im Lazarett verstorbenen Soldaten nannte: Jendritzki hieß er. Das hatten die
beiden zu rasch gemacht, ohne sich klar darüber zu sein, daß dieser verstorbene Jendritzki verheiratet war – das hätte verflucht
Ärger mit dessen Frau geben können und, wie ich finde, fiesen Ärger: man soll doch einem Toten so was nicht anhängen. Nun,
das habe ich reparieren können, als ich nach Mitte März für die Militärregierung das Wohnungsamt leitete. Stempel und son
Kram und Zugang zu allen anderen Behörden hatten wir ja genug, und so haben wir dem Kind seinen richtigen Vater geben können:
Boris Lvović Koltowski – wenn Sie sich vorstellen, daß sämtliche Behörden in drei Büros hockten, so wissen Sie, daß es eine
Kleinigkeit war, diesem armen Jendritzki die Vaterschaft von Lenis Kind wieder zu nehmen und alles in Ordnung zu bringen.
Das war ja alles schon nach dem Zweiten, und als die deutschen Idioten endlich alle weg waren, die haben ja noch am Sechsten
Deserteure in der Stadt aufgehängt, bevor sie endlich abzogen und die Brücke hinter sich sprengten. Dann kamen erst die Amerikaner,
und wir konnten endlich das Sowjetparadies in den Grüften verlassen und in die Wohnung zurück; aber auch die Amerikaner wurden
nicht schlau aus all dem Durcheinander, die waren wohl doch erschrocken darüber, wie die Stadt nun wirklich aussah, und ich
habe welche von denen weinen sehn, besonders ein paar Frauen, vor dem Hotel da an der Kathedrale – und was tauchte da alles
an Menschen auf: deutsche Deserteure, versteckte |311| Russen, Jugoslawen, Polen, russische Arbeiterinnen, weggelaufene KZ-Häftlinge, ein paar versteckte Juden – und wie sollten
die nun feststellen, wer Kollaborateur gewesen war, wer nicht, und in welches Lager wer gehörte. Die hatten sich das wohl
einfacher, ein bißchen zu einfach vorgestellt von wegen Nazis und Nichtnazis und so; so einfach wars ja nun nicht, wie
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