Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
die
mit ihrem kindlichen Gemüt glaubten. Das mußte alles geordnet und kategorisiert werden – und als der Hubert endlich auftauchte,
so Anfang Mai, wars ja halbwegs übersichtlich, halbwegs sage ich, und ich mache kein Hehl draus – ich habe mit Stempeln und
Bescheinigungen ziemlich großzügig eingegriffen in manches Schicksal; wozu sind denn Stempel und Bescheinigungen da? Der Hubert
zum Beispiel kam in einer italienischen Uniform an, die hatten ihm ein paar Kumpels da in Berlin geschenkt, mit denen er zusammen
Schanzen und U-Bahn-Tunnels aufräumen mußte; sie hatten genau überlegt: als deutscher Sträfling westwärts ziehen ist zu gefährlich;
da gabs zwischen Berlin und dem Rhein noch ganz nett Nazinester, wo sie ihn aufgehängt hätten; um als Zivilist zu gehen, war
er zu jung; mit fünfundvierzig Jahren wäre er in irgendeine Kriegsgefangenschaft geraten: Russen, Engländer oder Amerikaner.
So ging er als Italiener, das war natürlich keine Lebensversicherung, aber ganz klug: die Italiener verachteten sie ja nur,
die wurden ja nicht unbedingt gleich aufgeknüpft, und darum ging es doch: nicht unbedingt sofort aufgeknüpft oder erschossen
zu werden, das war doch das Problem, und er hat dann auch mit seiner italienischen Uniform und seinem ›Nix versteh Deutsch‹
Glück gehabt – nur wärs natürlich nicht gerade wieder eine Lebensversicherung gewesen, in einer italienischen Uniform nach
Italien verbracht und dort als Deutscher identifiziert zu werden! Das konnte auch an den Kragen gehen. Nun, er hats geschafft,
und er kam munter hier an, munter sage ich |312| Ihnen, einen so munteren Menschen können Sie sich gar nicht vorstellen. Er hat zu uns gesagt: ›Kinder, ich bin fest entschlossen,
den Rest meines Lebens lächelnd zu verbringen, lächelnd.‹ Er hat uns alle umarmt, die Leni, Boris, hat sich wahnsinnig über
sein Enkelkind gefreut, die Margret hat er umarmt und meine Kinder und mich natürlich und hat zu mir gesagt: ›Lotte, du weißt,
daß ich dich gern habe, und manchmal meine ich, du hättest mich auch gern. Warum bleiben wir nicht zusammen?‹ So haben wir
drei Zimmer bezogen, Leni, Boris und ihr Kind drei, die Margret eins, und die Küche hatten wir gemeinsam; da gabs keine Probleme
mehr zwischen so viel vernünftigen Menschen, wir hatten doch alles, die ganze Erbschaft von der glorreichen Deutschen Wehrmacht
aus der Schnürergasse, und Margret hatte im Lazarett noch tüchtig Medikamente mitgehen lassen; und es schien uns am besten,
Hubert weiter in der italienischen Uniform rumlaufen zu lassen – nur konnte ich ihm leider keinen italienischen Ausweis besorgen,
und er bekam einen von der Militärregierung mit einem italienischen Namen, den Boris für ihn erfand: Manzoni, das war der
einzige italienische Name, den er kannte, er hatte wohl ein Buch gelesen von diesem Manzoni. Ihn als entlassenen deutschen
Häftling auszugeben, ging ja auch nicht, denn er war ja eigentlich kein politischer, sondern ein krimineller, und die Amerikaner
waren ja darin ziemlich pingelig. Richtige Kriminelle wollten sie ja auch nicht frei rumlaufen lassen, wie hätte man denen
klarmachen können, daß er eigentlich doch ein Politischer war. Also besser: Luigi Manzoni, Italiener, der mit mir zusammenlebte. Verflucht, man mußte doch aufpassen,
daß man nicht in irgendein Lager kam, und wärs auch nur eins für Heimkehrer gewesen. Besser nicht. Man wußte ja nie genau,
wo die Transporte letzten Endes ankamen. Das ging ja auch gut bis Anfang 46, da waren die Amerikaner nicht mehr |313| so scharf drauf, alle Deutschen in irgendein Lager zu stecken, und es kamen ja bald die Engländer, und mit beiden, mit Amerikanern
und Engländern, bin ich ja ganz gut fertig geworden. Natürlich haben sich viele Leute gefragt, warum wir nicht geheiratet
haben, ich war doch Witwe und er Witwer, und was manche sagen, ich hätte es wegen meiner Rente nicht getan, das stimmt einfach
nicht. Es war einfach, ja ich nenn es so, einfach ein Überdruß, sich so endgültig zu binden, wies in einer Ehe nun einmal
ist. Heute bereue ichs ja, weil meine Kinder später ganz in die Einflußsphäre meines Schwiegervaters geraten sind. Die Leni
hätte ja gern ihren Boris geheiratet und er sie auch, aber das ging doch nicht, weil Boris gar keine Papiere hatte; als Russe
wollte er sich nicht zu erkennen geben, da gabs zwar manchmal hübsche Pöstchen, aber die meisten wurden ja dann gegen
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